Diättipps für Unternehmer
von Dr. Götz-Andreas Kemmner
Der Frühling und die Zeit der Diätvorschläge stehen vor der Türe. Sie versprechen, in wenigen Tagen schlank für den Sommer zu werden. Um schlank zu bleiben, kommt es jedoch letztlich auf eine ausgewogene Ernährung und auf das Maßhalten an. Gleiches gilt auch für Unternehmen.
Fettleibigkeit und falsche Ernährung wegen eines falschen Produktportfolios führen zu Ertragsschwächen, die schnell zum Sanierungsbedarf oder gar zum Tode durch Insolvenz führen können. Aus diesem Grund sollte man auf ein ausgewogenes Produktportfolio achten und regelmäßig träge machende Fettpölsterchen abtrainieren. Die Werkzeuge für Diäten – sei es für Unternehmen oder Menschen -unterscheiden sich dabei kaum: Während man bei klassischen Diäten über Kalorien und Nährwerttabellen seine Ernährung steuert, ermittelt man bei Unternehmensdiäten über Deckungsbeitragsrechnungen die “faulen” Produktgruppen und Produkte, die einen schlecht ernähren und um die man sich kümmern muss. Nun wird jeder Unternehmer sagen: “Das machen wir doch schon lange”, die Krux liegt jedoch im Detail. Bei der Mehrheit der Unternehmen stimmt die eigene “Nährwerttabelle” (= Kalkulationssystem) nicht.
Stimmt Ihre Nährwerttabelle?
Genauigkeit und Aussagefähigkeit von Kalkulationssystemen liegen leider oft im Argen. Die häufigsten Fehler, die bei Kalkulationssystemen gemacht werden, sind dabei falsch angesetzte Auslastungsgrade, falsche Maschinenstundensätze, falsche Zuschlagsfaktoren und/oder zu hohe Zuschlagsfaktoren. So kämpfte z.B. ein rheinischer Anlagenhersteller laufend mit dem Problem, dass in der Fertigung ältere Werkzeugmaschinen besser ausgelastet waren als neue, produktivere Maschinen. Es stellte sich heraus, dass bei der Kalkulation für ältere Maschinen aufgrund der geringeren Restbuchwerte falsche, zu geringe Maschinenstundensätze ermittelt wurden. Trotz der längeren Prozesszeiten im Verhältnis zu modernen Maschinen ergaben sich hieraus vermeintlich günstigere Fertigungskosten. Nicht einmal die Kosten für die Unterbelegung der modernen Werkzeugmaschinen wurden bei der Kostenbetrachtung gegengerechnet. Dies ist nur ein Beispiel für viele Fälle, deren Lösung im Nachhinein sonnenklar erscheint. Erkannt werden solche handwerklichen Fehler oft erst, wenn es finanziell eng wird, manchmal sogar noch später. Die entscheidenden Ursachen unzureichender Kalkulationssysteme liegen bei sehr vielen Unternehmen dort, wo die “Magensonden” und Kenntnisse der Kaufleute und der externen Wirtschaftsprüfer enden: Im Niemandsland zwischen Betriebswirtschaft und Technik.
Nicht die Erbsen zählen
Während in manchen mittelständisch strukturierten Unternehmen nichts existiert, was ernsthaft als Kostenrechnung zu bezeichnen wäre, haben andere Unternehmen im Bemühen um Genauigkeit ihre Kostenrechnungssysteme derart detailliert, dass sie für die Anwender unverständlich und für das Controlling unübersichtlich werden. Dies verärgert dann die “Kunden” der Kostenrechnung und vor allem diejenigen, die sich nicht täglich im Dschungel betriebswirtschaftlicher Terminologie bewegen. Aus diesem Grund müssen die Schnittstellen zwischen dem technischen und kaufmännischen Bereich klar definiert sein, um die Qualität der Eingangsdaten sicherzustellen und den Output für die Nicht-BWLer so aufzubereiten, dass diese Mitarbeiter sie auch verstehen. Dieses Ziel erreicht man zumeist mit technisch-organisatorischen Kennzahlensystemen, mit denen sowohl viele Führungskräfte sowie die Mitarbeiter eines Unternehmens besser umgehen können als mit reinen Kostenkenngrößen. Dort, wo solche technisch-organisatorischen Kennzahlensysteme existieren und die Zahlenwerte tagesaktuell ausgehängt werden, wird nach unserer Erfahrung schnell auf Veränderungen reagiert, denn hier hat man stets neben der Kennzahl auch noch die möglichen Ursachen einer Zielabweichung vor Augen. Klassische betriebswirtschaftliche Kennzahlen hingegen verdichten operative Geschehnisse in abstrakte Geldwerte und verschleiern damit oft den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Deshalb sollten Sie Ihre Kennzahlen genauer betrachten.
In Sanierungsprojekten ist z.B. die Überwachung von Kennzahlen für Anfragen, Angebote und Aufträge, Lieferfähigkeit, Bestände, Wertschöpfung und Stückzahlen eine wichtige erste Maßnahme, denn an solchen Zahlenwerten lassen sich Veränderungen – zum Besseren, wie zum Schlechteren – schon erkennen, wenn sie sich im klassischen betriebswirtschaftlichen Zahlenwerk noch gar nicht abzeichnen.
Aufgrund des hohen Technikeinsatzes in den meisten Unternehmen gewinnt auch das konsequente Verfolgen der Instandhaltungs- und Wartungsstunden und des Verbrauchs an Betriebsstoffen für die Anlagen zunehmende Bedeutung. So stellte beispielsweise der Instandhaltungsleiter eines norddeutschen Maschinenbauers fest, dass Instandhaltungs- und Wartungsaufwand an den eigenen Werkzeugmaschinen, die für die Herstellung von Probeserien eines neuen Bauteiles eingesetzt wurden, deutlich anstieg und die Verfügbarkeit dieser Maschinen deutlich abnahm. Über nicht angepasste Maschinenstundensätze war diese Veränderung nicht in die Preiskalkulation eingeflossen. Nachdem er auf das Problem aufmerksam gemacht hatte, zeigt ein sorgfältiges Nachrechnen, dass sich der vermeintliche Gewinn von 0,69 Euro pro Stück in einen Verlust von ca. 0,54 Euro/Stück verwandelte. Bei ca. 1500 Stück arbeitstäglich hätte sich dieser Betrag zu immerhin über 200.000Euro /Jahr summiert; bei einem ursprünglich geplanten Gewinn vor Steuern von 1 Million Euro, von dem ca. ¼ aus der Herstellung dieses Bauteiles resultieren sollte.
Umgekehrt konnten wir bei einem mittelständischen Lohnfertiger durch konsequentes Controlling der Schichtleistungen und der Ausfall- und Störursachen die Erfolge unserer Sanierungsmaßnahmen schon erkennen, als die BWA noch den Abwärtstrend widerspiegelte.
Wenn das Leibgericht auf dem Magen liegt…
Erst mit Hilfe einer richtigen Nährwerttabelle (= Kalkulationssystem) lässt sich beantworten, ob ein Unternehmen über ein Produktportfolio mit Nährwert verfügt. Es ist oftmals kein Spaziergang, das eigene Leistungsportfolio zu optimieren. Mitunter ist es nämlich erforderlich, Wertschöpfungsstränge auszusortieren: Wenn beispielsweise Produkt A keinen Ertrag mehr beisteuert, muss man überlegen, ob man Zeit, Geld und Möglichkeiten hat, es wieder profitabel zu machen oder ob man seine Produktion einstellen muss. Oft müssen dann auch die hierzu notwendige Beschaffung, Vertrieb und Produktion eingestellt werden.
Es gilt in solchen Fällen, eine möglichst objektive Entscheidung herbeizuführen. Dabei sollte man sich der Situation bewusst sein, dass jede Partei im Unternehmen ihre eigenen Ziele verfolgt. Dies ist auch grundsätzlich nichts Verwerfliches, denn nur wer sich mit seiner Aufgabe identifiziert, kann auch entsprechende Leistung bringen. So kommt es zu der für Veränderungen fatalen Situation, dass “Bereichsfürsten” den Veränderungsprozess bewusst oder unbewusst boykottieren. Und glauben Sie: In jedem unserer Beratungsprojekte gibt es solche Ressort- bzw. Abteilungsegoismen! Identifikation führt nämlich zwangsläufig zu einem verengten Blickwinkel. Um diesen Tunnelblick zu vermeiden, empfiehlt sich deshalb die externe Moderation eines Verschlankungs-, Downsizing- oder Restrukturierungsprozesses. Auf jeden Fall müssen jedoch die Handlungsalternativen in Form von Szenarien objektiv verglichen und in ihren Auswirkungen abgewogen werden. Erst dann sollte man eine Entscheidung treffen. Hierzu eignet sich am besten ein einfacher Businessplan, in dem die Szenarien in monatlichen Plan-GuVs für die nächsten 24 Monate durchgerechnet werden.
Schnelles Abspecken erforderlich
Sind Fettpölsterchen ausgemacht, ist entgegen den Empfehlungen, die Human-Mediziner für den Menschen geben, nach der Entscheidung für die Leistungsbereinigung bzw. Unternehmensverschlankung schnelles Handeln angesagt. Wer nun zu langsam agiert, verunsichert Kunden, Lieferanten und nicht zuletzt auch die Mitarbeiter. Und das führt oftmals dazu, dass sich wertvolle Mitarbeiter zunächst innerlich und dann auch “körperlich” vom Unternehmen verabschieden. Ebenso sollte man vermeiden, die Entscheidung aufzuschieben, um die Möglichkeit einzuräumen, die Situation zu verbessern. Das ist zwar ehrenwert, führt aber meist dazu, dass das Vorhaben stecken bleibt. Die “Trennkost-Diät” sollte also konsequent und zügig durchgeführt werden, denn ansonsten kann es passieren, dass die finanziellen Reserven nicht mehr ausreichen, die notwendige Diät zu bezahlen. Das Unternehmen wird zum Insolvenzfall, der im besten Fall noch sanierungsfähig ist.
Kurzfristig helfen meist nur Radikaldiäten, wie das Einstellen unrentabler Produkte und ihrer Wertschöpfungsketten, die Freisetzung von Personal (gerade in indirekten Bereichen) und das Beseitigen organisatorischer Reibungsverluste. Zum Glück stehen die meisten Unternehmen gesundheitlich noch nicht an dieser Schwelle. Deshalb kann ein gezieltes Workout die Fettpolster abbauen und den Körper mittelfristig wieder fit machen. Mit fünf Grundübungen sollten sich Unternehmen hierbei beschäftigten:
- Konzentration auf ein marktgerechtes Produkt-Portfolio, denn was mittelfristig kein Geld bringt, muss ersetzt werden.
- Abstimmung von Produkt und Prozess (product und process design to cost), denn 80% der Wertschöpfungskosten werden bereits in der Entwicklung festgelegt.
- Gestaltung marktsynchroner Prozesse in Beschaffung, Produktion und Distribution, denn wer nicht mit dem Markt atmen kann, dem wird die Luft wegbleiben.
- Wirtschaftliche Produktions- und Informationstechnologie, denn viele Anlagen und Softwaresysteme kosten mehr, als sie bringen.
- Aufbau schlanker und flexibler Infrastrukturen, denn die Infrastruktur selbst schöpft keine Werte.
Bei diesen fünf Übungen ist auf richtige Körperhaltung und mentale Einstellung zu achten: Maßnahmen müssen so durchgeführt werden, dass die Kosten relativ zum Umsatz sinken und der Grenzbeschäftigungsgrad (= Auslastungsgrad, bei dem gerade noch Geld verdient wird) verringert wird. Und kontrollieren Sie Ihre Übungen anhand aussagekräftiger Nährwerttabellen. Aber Vorsicht bei Alleingängen: Nicht nur Radikalkuren, auch diese fünf Unternehmens-Workouts bergen gesundheitliche Gefahren, sofern sie nicht sachgemäß ausgeführt werden. Unternehmen, die sicheren Erfolg ohne Schäden wollen, sollten sich bei der Durchführung der Maßnahmen lieber beraten und betreuen lassen. Unternehmen haben mit diesen Workouts nur gelegentlich zu tun; “Ernährungsberater” laufend…