Sortimente strategisch anlegen

 Von Uwe Peters und Dr. Helmut Abels

Immer mehr Kunden bauen ihre Lagerbestände ab und nutzen die externen Lager im Großhandel. Gleichzeitig wollen sie die Anzahl ihrer Lieferanten auf wenige reduzieren und deren Produktspektrum möglichst auf das komplette Sortiment erweitern. Natürlich werden weiterhin eine hohe Lieferbereitschaft und günstige Preise vorausgesetzt. Der Großhandel kann dies nur leisten, wenn er seine Sortimente einmal aus strategischer Sicht unter die Lupe nimmt.

So auch bei der Widex Peters GmbH mit Hauptsitz in Düsseldorf: Widex Peters liefert in einem Hauptsegment Schrauben und Muttern unterschiedlichster Abmessungen, Materialgütern und Oberflächen nach DIN oder Zeichnung. Das Produktspektrum wuchs in diesem Segment aufgrund immer wieder neu hinzutretender Artikel im Laufe der Jahre auf etwa 36.000 Artikel an. Entsprechend entwickelte sich auch das Bestandsvolumen und die Lageraustastung. Die Anstrengungen, den gewohnt hohen Lieferbereitschaftsgrad zu halten, wurden immer größer. Gleichzeitig stieg der Anteil an Teillieferungen und kurzfristigen Beschaffungen bei teureren Alternativlieferanten an.

Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, hatte das Handelsunternehmen ein Projekt zur Optimierung der Lagerbestände gestartet. Ziel dieses Projektes war jedoch nicht, eine generelle Reduzierung der Bestandshöhen zu erreichen, sondern das bestehende Lagersortiment so umzugestatten, dass unter Berücksichtigung der finanziellen und örtlichen Randbedingungen ein Höchstmaß an Lieferbereitschaft gegenüber dem Kunden sichergestellt werden kann.

Umsatzklassifizierung bestätigt Pareto-Prinzip

Als Datenbasis standen die Artikelstammdaten sowie die Bewegungsdaten (mengen- und wertmäßige Zu- und Abgänge) der letzten zwei Jahre zur Verfügung. Diese Daten wurden auch als repräsentativ für die nähere Zukunft (2-3 Jahre) gewertet. Einleitend wurde eine Artikelstrukturierung nach Umsatzklassen mittels ABC-Analyse durchgeführt. Dabei fiel auf, dass etwa 9.000 Artikel überhaupt keinen Umsatz im Betrachtungszeitraum aufwiesen. Diese wurden deshalb sofort ausgesondert und mit dem Ziel, die vorhandenen Bestände schnellstmöglich abzubauen, von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen. Die Analyse der restlichen Artikel erbrachte eine schöne Wiedergabe des Pareto-Prinzips:

  • 16 % der Artikel (A-Artikel) erwirtschaften einen Umsatz von 80%,
  • 42 % der Artikel (A-Artikel und B-Artikel) einen Umsatz von 95%
  • 58 % der Artikel (C-Artikel) erwirtschaften demzufolge nur einen Umsatz von 5%.

Die Verteilung der Bestände über die Artikelstruktur war ähnlich ihrer Umsatzanteile, jedoch mit leichter Verschiebung zu Gunsten der C-Artikel (12%). Zeichnungsteile, d.h. Schrauben nach Kundenkonstruktion sowie oberflächenbehandelte Artikel wurden überwiegend nicht gelagert.

Hohe Unregelmäßigkeit des Bedarfs vorherrschend

Eine weitere Klassifizierung der Artikel nach Vorhersehbarkeit bzw. Gleichmäßigkeit der Bedarfsverläufe (XYZ-Analyse) verdeutlichte die eigentliche Dispositionsproblematik:

  • nur 2% der A- und B-Artikel sind X-Artikel, d.h. Artikel mit gleichmäßigem Bedarf,
  • 45% sind Y-Artikel mit bereits deutlichen Bedarfsschwankungen und
  • 53% sind Z-Artikel mit extrem hohen Schwankungen und hoher Unregelmäßigkeit des Bedarfsanfalls.Bei den C-Artikeln waren X-Artikel nicht und Y-Artikel nur in geringem Maße nachweisbar. Im Betrachtungszeitraum dominierten hier deutlich (96%) die Artikel mit hoher Unregelmäßigkeit beim Bedarf bis hin zu Artikeln mit Einmalbedarf
Verteilungsprinzip der Lieferbereitschaftsgrade
Verteilungsprinzip der Lieferbereitschaftsgrade

Sortimentsstrategie

Nach diesen Voranalysen wurden die erforderlichen Lagerbestände für die einzelnen Artikelklassen mit Hilfe des strategischen Bestandsplanungsprogramms “Diskover” von Abels & Kemmner ermittelt. Hierauf aufbauend erfolgte die Bestimmung des Lagersortiments einschließlich der Festlegung von entsprechenden Lieferbereitschaftsgraden. Die Berechnung wurde für drei unterschiedliche Lieferbereitschaftsgrade (90%, 95%, 98%) durchgeführt. Entgegen der bisherigen Philosophie wurden auch Artikel mit Oberflächenbehandlung in die Betrachtung einbezogen. Aufgrund der erforderlichen Durchlaufzeit für die nachträgliche Behandlung wurde vor allem hier ein Grund für bisherige Teillieferungen vermutet. Die ermittelten Bestände wurden den Inventurbeständen als Orientierungsmaßstab für die Ist-Situation gegenübergestellt: Bei den X-Artikeln der A- und B-Umsatzklassen konnte selbst bei 98% Lieferbereitschaftsgrad in Summe eine Bestandseinsparung gegenüber dem Inventurbestand um 45% festgestellt werden. Bei den Y-Artikeln entsprach die Summe der ermittelten Lagerbestände bei 98% Lieferbereitschaftsgrad etwa dem der Inventurbestände. Artikelspezifisch wurden allerdings auch hier zum Teil erhebliche Bestandsdifferenzen zwischen Soll- und Ist-Bestand festgestellt. Dies bestätigte sich auch für die Artikel der C-Umsatzklasse.

Mit diesem Ergebnis stand die Dispositionsstrategie für diese Teile bereits fest: verbrauchsorientierte Disposition mit einer Parametereinstellung für 98% Lieferbereitschaftsgrad. Orientiert man die Kundennachfrage am Umsatzanteil der Artikel, können somit bereits 65% des Nachfragebedarfs mit 98% Lieferbereitschaftsgrad befriedigt werden. Bei den Z-Artikeln traten große Unterschiede in der Bestandsentwicklung zwischen den Umsatzklassen auf: Mit steigendem Lieferbereitschaftsgrad wuchsen die Lagerbestände der AZ-Artikel überproportional an und erreichten bei 98% fast das Dreifache des heutigen Bestandsvolumens. Insbesondere die Bestände der oberflächenbehandelten Artikel steigerten sich auf die Höhe des heute vorhandenen Bestandsvolumens.

Bei den BZ-Artikeln war die Steigerung wegen des insgesamt geringeren Mengenvolumens nicht ganz so erheblich; tagen die kumulierten Lagerbestände bei 95% Lieferbereitschaftsgrad noch etwa in Höhe des Inventurbestandes, erhöhte sich der Betrag bei 98% Lieferbereitschaftsgrad bereits auf das Doppelte. Bei den CZ-Artikeln sah die Bestandsentwicklung ähnlich aus wie bei den B-Artikeln. Bei 98% Lieferbereitschaftsgrad erreichten die Bestände hier zudem noch etwa die Höhe des Jahresumsatzes. Um bezüglich dieser Artikelspektren zu einer differenzierteren Betrachtung zu gelangen, wurde eine weitere Einteilung der Z-Artikel je Umsatzklasse nach Nullperiodenanteil durchgeführt. Hier bei wurde geprüft, in wie vielen Monaten pro Jahr ein Artikel keinen Bedarf aufwies. Diese Unterteilung gab Aufschluss über die bestandsbeeinflussenden Anteile je Artikel: Artikel mit einem Nullperiodenanteil von bis zu fünf Perioden pro Jahr wurden als Z-Artikel bezeichnet. Die Bestände dieser Artikel stiegen um etwa 30% bei Steigerung des Lieferbereitschaftsgrads von 90% auf 95% an.

Artikel mit einem Nullperiodenanteil von sechs Perioden und mehr wurden als Z2-Artikel bezeichnet. Mit zunehmendem Nullperiodenanteil stieg auch die Steigerungsrate der Bestände bei Erhöhung des Lieferbereitschaftsgrades an. 90% der BZ-Artikel und 99% der CZ-Artikel zählen zu dieser Z2-Kategorie.

Differenzierte Sortimentsstrategie vor allem bei Z-Teilen erforderlich 

Für die Z-Artikel wurde daher folgende Sortimentsstrategie festgelegt: Alte AZ-Artikel werden wegen ihres hohen Nachfrageanteils trotz der erheblichen Bestandssteigerung mit einem Lieferbereitschaftsgrad von 98% vorgehalten, weit auch bei dieser Bestandssteigerung noch ein akzeptabler mittlerer Lagerumschlag sichergestellt werden kann. Bei den BZ- und CZ-Artikeln wird eine Trennung in Z1- und Z2-Artikel vorgenommen. Die Z1-Artikel werden mit einem Lieferbereitschaftsgrad von 95 % vorgehalten, die Z2-Artikel sollen wegen ihrer hohen Sporadität weitgehend abgebaut werden (siehe Grafik). Um trotzdem gegenüber den Kunden eine kurzfristige Lieferbereitschaft dieser Artikel gewährleisten zu können, werden zwei Maßnahmen angestrebt: Der Vertrieb ist aufgefordert, gemeinsam mit den Kunden intensiver an einer Beschaffungsplanung dieser Artikel zu arbeiten, um frühzeitig Informationen über die Nachfrage dieser Artikel zu erhalten, gleichzeitig werden beschaffungsseitig Kooperationspartner gesucht, um gerade die kleinen und sporadischen Beschaffungsmengen zu bündeln und somit eine kostengünstige Lagerhaltung und schnelle Beschaffung dieser Artikel zu ermöglichen.

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Prof. Dr. Andreas Kemmner