von Kurt Künnemann1 und Dr. Bernd Reineke

Die Thermo Electron GmbH ist ein High-Tech-Unternehmen in Bremen, das Massenspektrometer für verschiedenste Anwendungsbereiche herstellt. Seit den 90er Jahren konzentriert sich Thermo Electron auf die Kernkompetenzen Technologie, Produktentwicklung und Marketing und hat Zug um Zug die Eigenfertigungstiefe reduziert. Eine geringe Eigenfertigungstiefe führt jedoch nicht automatisch zu einer schlanken innerbetrieblichen Materialwirtschaft. Daher beauftragte das Unternehmen den Supply-Chain-Spezialisten Abels & Kemmner, neue Logistikprozesse zu designen und deren Umsetzung zu begleiten.

Produkt- und BeschaffungsstrukturAuch bei den hochspezialisierten Analysegeräten spielen kurze Lieferzeiten für die Kunden aus Forschung, öffentlichen Einrichtungen und Industrie eine wesentliche Rolle. Daher beschaffte Thermo Electron Standardkomponenten und -geräte zumeist kunden- und auftragsneutral, um so stets einen hohen Lieferbereitschaftsgrad zu gewährleisten. Eine Vielzahl mechanischer und elektronischer Baugruppen sowie unzählige Einzelteile wurden so stets bevorratet. Nach dem Outsourcing der Sonderwerkstatt sowie der Vakuumtechnologie in den 90er Jahren sanken die Bestände der zum Teil sehr hochwertigen und großvolumigen Zukaufteile jedoch nicht angemessen. Deshalb definierte die Geschäftsführung das Ziel, die Bestandswerte von rund 5 Mio. Euro um mindestens 40% auf ca. 3 Mio. Euro zu senken. Entsprechender Zugzwang wurde dadurch geschaffen, dass der Neubau, der Anfang 2005 bezogen werden sollte, diese Zielvorgabe auch rein physikalisch erforderte, denn die Lagerflächen wurden in der Bauplanungsphase entsprechend knapp dimensioniert. Die Herausforderung in diesem Projekt bestand also darin, zum einen die Lieferbereitschaft aufrecht zu erhalten oder im Idealfall noch zu steigern und gleichzeitig die Bestände drastisch zu reduzieren.

Bestand der verbleibenden Stücklistenmaterialien
Schon zum Ende des initialen Projektes zeigten sich bereits die ersten Früchte des Erfolgs: Der Bestandswert ging innerhalb von 7 Monaten um 46% zurück. Der mit dem Simulationstool DISKOVER von Abels & Kemmner ermittelte Ziellagerbestand, d.h. der Bestand der verbleibenden Stücklistenpositionen, liegt sogar über 60% unter dem Ausgangswert

Bereits zu Beginn des Projektes wurde deutlich, dass bei der Gestaltung der zukünftigen Logistikprozesse die Lieferanteneinbindung eine wesentliche Rolle spielt. Diese sollten insbesondere die Umstellung vom bisherigen Push-System auf das zukünftige Pull-System unterstützen und mitgestalten, indem sie die Bevorratung insbesondere der großvolumigen und hochwertigen Baugruppen übernehmen. Bevor jedoch die Lieferanten mit der neuen Struktur vertraut gemacht werden konnten, waren zunächst wichtige Vorarbeiten zu erledigen. Dazu gehörten:

  • Analyse der Beschaffungsteile durch ABC- und XYZ-Methode
  • Volumenanalyse der Einkaufsteile zur Abschätzung des erforderlichen Lagervolumens
  • Analyse der Gerätestruktur mit Hinblick auf mehrfache Teileverwendung und Möglichkeit zur Zusammenfassung zu so genannten Lieferkits
  • Überprüfung der einkaufsrelevanten Logistikparameter wie Wiederbeschaffungszeiten, Mindestbestellmengen und Preisstaffelungen.

Zu Beginn des Projektes waren die Produktstrukturen anhand der Stücklisten bis zur Stufe der Einkaufskomponenten eingehend zu analysieren. Die Stücklisten gaben den Aufbau nach Funktionsbaugruppen aus Sicht der Konstruktion wieder, Aspekte der Montage und Teileverwendung waren dabei weniger berücksichtigt. Alle Verbindungselemente wie zum Beispiel Schrauben, Schellen, Unterlegscheiben oder Muttern waren als Einzelpositionen enthalten und wurden auch einzeln beschafft und bevorratet. Hier war ein erster Ansatzpunkt, so genannte Montagekits zu bilden wie eben solche Verbindungselemente, die im Montageprozess benötigt werden. Die Montagekits sind also im Sinne der Stücklistenstruktur Baugruppen, die fremdbeschafft werden. Damit sinkt die Zahl der zu beschaffenden Einzelteile deutlich, auch der Aufwand im Wareneingang oder bei der Kommissionierung reduziert sich dadurch erheblich. Weitere Beispiele für die Montagekitbildung sind Pumpenkits (Vakuumpumpen, Schläuche, Anschlüsse etc.) oder Werkzeuge für den Geräteaufbau beim Kunden (z.B. Werkzeugtasche, Schraubendreher, Gabel- und Ringschlüssel, Knarren, etc).

Bestand in € (ohne WIP und Kundengeräte)
Bestand in € (ohne WIP und Kundengeräte)

Weiterhin wurde das Sortiment der Handlagerteile überprüft und auf die aktuellen Belange der Montage angepasst. Bei Handlagerteilen handelt es sich um geringwertige DIN- und Normteile, die praktisch bei jedem Gerät benötigt werden. Sie werden an den Montagearbeitsplätzen bevorratet und rein verbrauchsbezogen beschafft. Die Beschaffung und Bereitstellung der Handlagerteile ist somit im Vergleich zu anderen Teilen mit nur sehr geringem Aufwand verbunden.

Nach Klärung der Produkt- und Stücklistenstrukturen konnten die Bevorratungsstrategien der Baugruppen, Montagekits und Einzelteile entschieden werden. Grundlage hierfür waren die ABC/XYZ-Analyse sowie die Ergebnisse aus der Volumenanalyse. Die ABC-Analyse wurde klassisch nach Einkaufsumsätzen bzw. nach Herstellkosten bei Eigenfertigungsteilen mit 80% (A), 15% (B) und 5% (C) Umsatzanteil durchgeführt. Die XYZ-Analyse ist eine Auswertung der Verbräuche anhand des Variationskoeffizienten und gibt Aufschluss über die Gleichmäßigkeit des Teileverbrauchs. Während X- und Y-Teile relativ regelmäßig vom Lager abfließen, weisen Z-Teile vorwiegend Unregelmäßigkeiten im Verbrauch auf. Je gleichmäßiger der Verbrauch ist, desto verlässlicher lassen sich die Komponenten planen, und umgekehrt, je ungleichmäßiger der Verbrauch ist, desto schwieriger ist die Planung der Teile. Dies wurde bei der folgenden Betrachtung entsprechend berücksichtigt:

Tabelle 1
Tabelle 1

Wie aus der Tabelle hervorgeht, wurde entschieden, dass alle A- und B-Teile, unabhängig vom Verbrauchverhalten und dem Volumen, zukünftig bedarfsbezogen beschafft und Just in Time (JIT) über Abruf vom Lieferanten anzuliefern sind. Ist ein Lieferant bereits JIT-Lieferant, da er A- oder B-Teile liefert, sind auch alle anderen Positionen von diesem Lieferanten Just in Time zu liefern. Großvolumige C-Teile sind ebenfalls Just-in-Time-Kandidaten, wenn sie ein X- oder Y-Verbrauchsverhalten aufweisen. Alle anderen CXY-Teile geringeren Volumens sind zu bevorraten und verbrauchsbezogen zu beschaffen. Die Unterscheidung bei der Disposition dieser Teile, ob über Meldebestandsverfahren oder stochastisch über Prognosen zu beschaffen ist, hängt von der Wiederbeschaffungszeit ab, mit dem Ziel, das Bestandsvolumen möglichst gering zu halten. Letztlich sind alle CZ-Teile, die nur unregelmäßig gebraucht werden und damit ggf. Bestandsrisiken bergen, rein bedarfsbezogen zu beschaffen.

BasisgeräteBasisgeräte

Die notwendigen Umstellungen des SAP-R/3-Systems wurden von den SAP-Spezialisten der Abels & Kemmner GmbH vorbereitet und in enger Abstimmung mit dem zentralen IT-Bereich durchgeführt, der bei Thermo Electron in den USA beheimatet ist. Dabei standen sowohl hohe Transparenz der Beschaffungssituation inklusive der Rückverfolgbarkeit bis auf das Einzelgerät wie auch eine möglichst effiziente Abwicklung der Auftrags- und Buchungsprozesse im Vordergrund. Dazu wurden die im SAP-Standard enthaltenen Möglichkeiten zur Vereinfachung und Automatisierung in perfekter Weise genutzt.

Die neuen Abläufe und Zusammenhänge insbesondere der neuen Just-in-Time-Belieferung wurden dokumentiert und mit den internen Kräften abgestimmt und geschult. So sind jetzt JIT-Teile bereits im Wareneingang zu identifizieren und, ohne sie einzulagern, direkt an den Produktionsbereich zu übergeben, der eigens für die anstehenden Montageaufträge separate Bereitstellflächen reserviert. Aber auch die Abstimmung der neuen Abläufe mit den Lieferanten war ein wichtiger Schritt, um die Projektergebnisse erfolgreich umzusetzen. Dazu wurden die JIT-Lieferanten in Einzelgesprächen mit den Änderungen vertraut gemacht und insbesondere der Informationsfluss zwischen den Unternehmen abgestimmt. Speziell die Liefereinteilungen wurden in Zusammenarbeit mit den Lieferanten in mehreren Schritten verfeinert und optimiert.

Schon zum Ende des initialen Projektes zeigten sich bereits die ersten Früchte des Erfolgs: Der Bestandswert ging innerhalb von 7 Monaten um 46% zurück. Der mit dem Simulationstool DISKOVER von Abels & Kemmner ermittelte Ziellagerbestand, d.h. der Bestand der verbleibenden Stücklistenpositionen, liegt sogar über 60% unter dem Ausgangswert (vgl. Abbildung). Die Anzahl der aktiven, in Stücklisten verwendeten Baugruppen und Komponenten konnte bei den Basisgeräten um 15% und bei den Optionen, dies sind je nach Kundenwunsch einsetzbare Module, um 11% reduziert werden. Der Umzug zum Jahreswechsel und die damit verbundenen Umstellungen waren innerhalb kürzester Zeit vollzogen. Die neuen Abläufe werden zurzeit weiter feinjustiert und konsolidiert.

Die Einbindung der Lieferanten in das Pull-Prinzip gestaltete sich aufgrund der Fokussierung auf A- und B-Teile mit XY-Verhalten unproblematisch. Darüber hinaus stellen die zusammengestellten Kits für Thermo Electron ein vereinfachtes Verfahren für die internen Bereitstellungsabläufe dar, das gerne angenommen wurde. Für die Lieferanten bedeuten die Umstellungen höheres Umsatzpotenzial und stärkere Bindung an den Kunden, was sich positiv auf die Planungs- und Investitionssicherheiten auswirkt. Thermo Elektron profitiert letztlich von der steigenden Liquidität, da wesentlich weniger Kapital in Bestandswerten gebunden ist. Insofern können alle Beteiligten von dem neuen JIT-Konzept ihren Nutzen ziehen. Die weiteren Schritte sehen vor, die Bestände weiter zu senken und gleichzeitig die Lieferbereitschaft zu erhöhen, indem prognosegestützte Dispositionsverfahren zum Einsatz kommen. Die dafür optimalen Prognoseverfahren und Verfahrensparameter werden über die Simulationswerkzeuge von Abels & Kemmner ermittelt und an das SAP System übergeben.

Über Thermo Electron Corporation

Als weltweiter Marktführer im Bereich “high-tech” Instrumente hilft Thermo Electron Corporation seinen Kunden im Bereich Life Science und in der Industrie ihr Fachwissen zu vertiefen, das Herstellungsverfahren zu verbessern und unsere Umwelt mit Hilfe von Instrumenten, wissenschaftlichen Geräten und praktischen Lösungen über die Probenvorbereitung bis zur Datenauswertung wirksamer zu schützen. Der Thermo-Geschäftsbereich ‘Life and Laboratory Sciences’ bietet zu diesem Zweck Analyse-Geräte, wissenschaftliche Ausstattungen, Dienstleistungen und Software-Lösungen an, die allen Anforderungen der Biowissenschaft und Wirkstoffforschung gerecht werden und von klinischen Einrichtungen, Umweltanalyselabors und industriellen Laboratorien genutzt werden. Im Mess- und Kontrollbereich von Thermo Electron werden Analysegeräte entwickelt und vertrieben, die in vielen Produktionsverfahren und bei Anwendungen vor Ort eingesetzt werden. Dazu zählen auch Produkte zur Unterstützung der öffentlichen Sicherheit und der nationalen Sicherheit eines Landes. Thermo Electron, dessen Hauptsitz nahe Boston, Massachusetts liegt, erwirtschaftet jährlich mit rund 10.000 Mitarbeitern in 30 Ländern über 2 Milliarden Dollar.


1 Kurt Künnemann ist Logistikleiter der Bremer Fa. Thermo Electron und war Hauptansprechpartner im vorgestellten Projekt

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Dr. Bernd Reineke