Wie stehen Ihre Absatzaktien?
von Dr. Götz-Andreas Kemmner
Lassen sich die Marktmechanismen der Börse auf die Prognose von Marktbedarfen übertragen? Können damit Absatzprognosen weiter optimiert werden und so letztlich marktsynchroner produziert werden?
Auch im Zeitalter der Pull-Systeme stellen Bedarfsprognosen ein wichtiges Thema dar. Klassischerweise gewinnt man Bedarfsprognosen heute aus zwei Quellen: Einerseits greift man auf historische Daten zurück und ermittelt hieraus Vorhersagen für zukünftige Bedarfe. Andererseits versucht man auf Basis der Markteinschätzungen des Vertriebs zu prognostizieren. Aus vielen Gründen führen Vertriebseinschätzungen jedoch meist zu schlechteren Ergebnissen als Prognosen, die auf historischen Daten gründen. Doch auch deren Prognosequalität hängt stark davon ab, wie gut die Vorhersagemechanismen optimiert sind. Nicht immer stehen geeignete historische Daten zur Verfügung; spätestens dann stellt sich die Frage nach Alternativen zur Bedarfsprognose.
In den letzten Jahren sind Prognose-Aktienmärkte in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Den Ausgangspunkt der Prognose-Aktienmärkte dürften wohl die Iowa Electronic Markets der University of Iowa darstellen (www.biz.uiowa.edu/iem), die bereits seit Ende der 1980er Jahre virtuelle Aktienmärkte zu Forschungs- und Ausbildungszwecken betreibt. Das Experiment startete mit Vorhersagen für politische Wahlen, inzwischen gibt es aber auch eine Börse zur Vorhersage der Gewinne der amerikanischen Computerindustrie.
Aktuelle Entwicklung der Aktienpreise der Parteien für die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2008. Stünden ähnlich repräsentative Foren für jedes Produkt zur Verfügung, könnten Absatzprognosen deutlich präziser gefasst werden.
In Deutschland wurden Prognose-Börsen ebenfalls durch politische Wahlen bekannt. Bei der Bundestagswahl 1998 in Deutschland lieferte eine Prognose-Börse des Unternehmens Ecce Terram (www.ecceterram.de) das zweitbeste Prognoseergebnis im Vergleich zu den Wahlforschern. In einer Demo-Anwendung kann man dort auch auf den Ausgang einer eventuellen kurzfristigen Bundestagswahl spekulieren. Das Beispiel ist aber außerhalb der “Wahlsaison” so gering frequentiert, dass sich die Grenzen des Börsenmechanismus zeigen. Weitere Anwendungsbeispiele für Prognose-Börsen finden sich beispielsweise bei Hewlett-Packard: deren “Information Dynamics Lab” in Palo Alta hat eine Forecast-Börse als Teil eines Vorhersageprozesses für die Quartalsergebnisse des Unternehmens erfolgreich erprobt (www.hpl.hp.com/research/idl/projects/brain/index.html).
Auch Anwendungsbeispiele in deutschen Unternehmen sind uns bekannt, die wir teilweise aus vertraulichen Quellen kennen und deshalb hier nicht aufführen können. Spann und Skiera verweisen auf ein Experiment bei einem deutschen Mobilfunkprovider. In diesem Experiment sollte eine Gruppe von 20 ausgewählten Mitarbeitern die Nachfrage nach fünf unterschiedlichen Mobilfunk-Dienstleistungen für einen Testmonat prognostizieren. Die Vorhersagegenauigkeit, gemessen als mittlerer absoluter prozentualer Prognosefehler, war deutlich besser als alternative Prognosewerte. Allerdings war dieses Experiment nicht statistisch repräsentativ. Öffentlich zugängig und gut frequentiert sind vor allem amerikanische Anwendungen. So kann über das Webportal Yahoo eine Forecast-Börse erreicht werden (buzz.research.yahoo.com/index.html), bei der es um die Vorhersage der Entwicklung konkurrierender Technologien geht. Mit welcher Technologie werden beispielsweise Flachbildschirme morgen arbeiten? Während ich diese Zeilen schreibe, stehen die Aktien von LCD bei 10,05$, diejenigen von Plasma bei 9,95$…
Als sehr transparent und anscheinend sehr wirkungsvoll hat sich die Forecastböse Hollywood Stock Exchange (www.hsx.com) erwiesen.
Bei diesem “Spiel”, wie es Yahoo Research selbst bezeichnet, werden die Aktienpreise einerseits durch die Häufigkeit bestimmter Schlagworte (buzz words) bestimmt, die in Yahoo Suchen eingegeben werden, und andererseits durch die Erwartungen der Marktteilnehmer gesteuert. Wie die beiden Mechanismen zusammenwirken, erschließt sich nicht so einfach, womit wir bei einem der entscheidenden Faktoren einer wirkungsvollen Forecast-Börse angelangt sind: der Transparenz des sogenannten “cash-outs”, also der Auszahlung des Spekulationserfolgs an die Börsenteilnehmer.
Als sehr transparent und anscheinend sehr wirkungsvoll hat sich die Hollywood Stock Exchange (www.hsx.com) erwiesen. Seit 1996 können dort u.a. MovieStocks® gehandelt werden. Ein MovieStock entspricht einem Spielfilm-Projekt. Der Aktienpreis hängt von den Einspielergebnissen des ersten Spielwochenendes eines neuen Films ab. In einem Markt, in dem die Investitionen in ein Projekt durchaus dem Umsatz eines größeren mittelständischen Unternehmens entsprechen können, spielt die Prognose der zu erwartenden Einspielergebnisse verständlicherweise eine große Rolle.
Der Börsenmechanismus ist einfach: die Händler kaufen und verkaufen MovieStocks entsprechend ihren Erwartungen bezüglich der Einspielergebnisse. Am Freitag vor dem ersten Spielwochenende wird der Handel ausgesetzt. Am Montag danach werden die Aktienpreise entsprechend der ersten Einspielergebnisse angepasst. Die Händler sind bestrebt, überbewertete MovieStocks abzustoßen und unterbewertete zu kaufen, um den Portfoliowert bei Cash-out zu verbessern. Hieraus, so die Erwartung, soll sich ein möglichst nahe an der Realität liegender Vorhersagewert ergeben.
Dass diese Erwartung prinzipiell berechtigt ist, hat bereits der österreichische Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August v. Hayek Mitte des letzten Jahrhunderts behauptet. Marktpreise, so seine Hypothese, spiegeln das verteilte Wissen der Marktteilnehmer wieder.
Auch wenn dieser Gedanke besticht und verschiedene Erfahrungen mit Virtual Stock Markets (VSM), wie sie im Amerikanischen genannt werden, ermutigen, stellt sich doch die Frage, ob sich das Prinzip auf die Prognose von Marktbedarfen, z.B. an Endprodukten, übertragen lässt.
Mit dieser Frage beschäftigen wir uns schon seit längerem intensiv. Mit einem renommierten deutschen Großunternehmen bereiten wir gegenwärtig ein entsprechendes Experiment für ein besonders schwieriges Vorhersageproblem vor. Zu gegebener Zeit werden wir hierüber detaillierter berichten können. Ungeachtet der speziellen Problematik in diesem konkreten Projekt sind jedoch folgende Fragen für jedes Unternehmen interessant, das sich an das Thema Forecast-Börsen für seine eigenen Produkte heranwagen will:
- Welche Anzahl an Aktien (= Produkten) lässt sich noch übersichtlich handeln?
- Wie viele Teilnehmer sind erforderlich bzw. können überhaupt in den eigenen VSM integriert werden? Sind auch Kunden und Lieferanten integrierbar?
- Können auch unwissende Marktteilnehmer zum Erfolg der Vorhersage beitragen? Woran misst man überhaupt “Wissen”?
- Kommen die Teilnehmer mit dem Börsenmechanismus überhaupt zurecht?!
- Reicht der Spieltrieb der Teilnehmer, um ernsthaft mitzuspielen und “dranzubleiben” oder müssen zusätzlich weitere Motivationsfaktoren wie im realen Aktienhandel eingebaut werden?
- Wie gut kann eine Prognose werden bzw. ab wann ist eine Prognose als gut zu bezeichnen?
Zusammenfassend gefragt: Können Forecast-Börsen für Ihr Unternehmen ein erfolgreiches Instrument zur Bedarfsvorhersage darstellen und welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein? Wir sind auf jeden Fall der Meinung, dass unter optimalen Bedingungen VSM basierte Forecasts eine Genauigkeit von deutlich über 90% erreichen können. Das ist erheblich mehr als die sonst üblichen 60-70 %. Das Instrument ist darüber hinaus für Mitarbeiter attraktiv gestaltbar, sodass Prognosen nicht mehr leidiges Planungsübel sein müssen, sondern auch die Auseinandersetzung mit der Prognoseaufgabe auf ein ganz anderes Niveau heben können. Letztlich können Forecast-Börsen so auch die unternehmensinterne Kommunikation fördern. Insofern bringen sie neben den realen Ergebnissen auch den Meinungsaustausch über die Ergebnisse, die eingeleiteten Maßnahmen und deren Auswirkungen zu Tage, um nur einige Beispiele zu nennen. Das große Handicap eines VSM ist und bleibt jedoch die geringe Anzahl von Aktien (= Vorhersageobjekten), die im Verhältnis zur Anzahl der Marktteilnehmer sinnvoll gehandelt werden können!
Übrigens, interessiert es Sie, wie die Prognosen für die Vorwahlen bei den demokratischen Präsidentschaftskandidaten der USA stehen? Die Aktien CLIN_NOM (Hillary Clinton) und OBAM_NOM (Barack Obama) werden zu deutlich höheren Werten gehandelt, als die Alternativen. Die CLIN_NOM Aktien liegen, während ich diese Zeilen schreibe gut 15 Punkte über den OBAM_NOM Aktien. Mitte März 07, als Obama fast so viele Wahlkampfspenden eingeworben hatte wie Clinton, lagen die OBAM_NOM Aktien sogar knapp vorne. Die aktuelle Entwicklung der Wahlaktien finden Sie hier: http://iemweb.biz.uiowa.edu/graphs/graph_DConv08.cfm.