Wechselnde Engpässe im Griff

Feinjustierung der Fertigung

Um bei der komplexen Fertigung von Edelmetall-Federaggregaten, die in mehr als 35 Fertigungsschritten und hoher Variantenvielfalt produziert werden, nachfragebedingt wechselnde Engpässe täglich zu meis­tern, setzt Montblanc auf elekronische Plantafeln.

Termingerecht liefern, ist eine wahre Herausforderung für die Fertigungs­steuerung des Schreibgräteherstel­lers Montblanc aus Hamburg. Aufgrund des gestiegenen Produktspektrums der letzten Jahre muss der komplexe, mehrstufige Ferti­gungsprozess mit spitzer Feder verfolgt und gesteuert werden. Deshalb wurde für die ausschließlich in Handarbeit gefertigten Fe­deraggregate ein elektronisches Fertigungs­steuerungs- und Auftragsverfolgungssystem programmiert, das auf 42 große elektroni­sche Plantafeln in der Federfertigung instal­liert wurde. Die Begeisterung der Mitarbeiter war vom ersten Tag an zu spüren. Neben der gewonnenen Transparenz und der damit verbundene Möglichkeit zur Optimierung des Mitarbeitereinsatzes an den vielen ver­schiedenen Fertigungsstationen trug die op­timierte Fließfertigung mit verkürzten Liege­zeiten und geringerem WIP-Bestand (Work In Progress) ihren Anteil dazu bei.

Bild 1: Stetig wechselnde Engpässe im Griff: Viele Daten verbergen sich hinter den elektronischen Plantafeln von Montblanc
Um bei der komplexen Fertigung von Edelmetell-Federaggregaten, die in mehr als 35 Fertigungsschritten und hoher Variantenvielfalt produziert werden, nachfragebedingt wechselnde Engpässe täglich zu meistern, setzt Montblanc auf elektronische Plantafeln.

Der Fertigungsprozess

Die 14 und 18 Karat-Goldfedern warten in Styropor-Trays auf ihren Einsatz an der Spitze des Füllers in der Schreibgeräte-Endmontage. Bis sie jedoch dahin gelangen, haben sie einen zeit- und handarbeitsinten­siven Fertigungsprozess mit über 35 Ar­beitsschritten durchlaufen. Führt man sich diese Komplexität vor Augen, so wird schnell deutlich, dass die Optimierung des Mitarbeitereinsatzes unter den Aspekten Einhaltung der Durchlaufzeit, geringer WIP-Bestand und Produktionseffizienz eine große Herausforderung für die Fertigungssteuerung der Goldfedermanufaktur darstellt. In der Fließproduktion durchläuft nicht jedes Federaggregat die gleichen Fertigungsstationen. Jeder Arbeitsgang hat unterschiedliche Bearbeitungszeiten, nicht alle Fertigungsstationen sind dauerhaft besetzt. Trotz hoher Mitarbeiterqualifikation kann nicht jeder alle Arbeitsgänge durchführen. Und schlussendlich sind die Kapazitätsgren­zen zu beachten.

Die operative Planung

Jeder Engpasssektor limitiert den Gesamt­durchsatz und erzeugt zugleich bei allen an­deren Teilen bzw. Aufträgen Verschwendung von Ressourcen. Die gesamte operative Pla­nung muss sich daher stets neu auf die sich kurzfristig verändernden Engpässe ausrich­ten. Der jeweils wechselnd schwächste Teil­bereich bestimmt somit immer die operative Planung, um das Gesamtsystem auf höchste Effizienz auszurichten, Daher lautet das erste Gebot: Schaffung vollständiger Transparenz. Zu jedem Zeitpunkt muss die reale Ferti­gungssituation ersichtlich sein, und zwar nicht nur für die Fertigungssteuerung son­dern insbesondere für die in Gruppenarbeit organisierten Mitarbeiter der Fertigungsbe­reiche. Transparenz bedeutet in diesem Fall die Beantwortung folgender Fragen:

  • Wie hoch ist der eingelastete Fertigungsauftragsbestand insgesamt?
  • Wie hoch ist der Auftragsbestand an jeder ein­zelnen Fertigungsstation?
  • Aus wie vielen unterschiedlichen Fertigungsaufträgen setzt sich dieser zusammen?
  • Welche dieser Aufträge sind wann fällig?
  • Welche dieser Aufträge stehen bereits auf ‘gelb’ bzw. ‘rot’ in der Ampelschaltung?
  • Welche dieser Aufträge haben eine ‘zusätzli­che’ Priorität erhalten?

Diese Fragen werden von der elektroni­schen Plantafel in Echtzeit beantwortet.

Bild 4: Die elektronische Plantafel ist im Fertigungsbereich so plaziert, dass sie von fast allen Fertigungsstationen eingesehen werden kann - auch aus größerer Entfernung.
Die elektronische Plantafel ist im Fertigungsbereich so plaziert, dass sie von fast allen Fertigungsstationen eingesehen werden kann – auch aus größerer Entfernung.

Die elektronische Plantafel

Im ersten Schritt wurde bei Montblanc eine manuelle Plantafel in einem der drei Fertigungsbereiche getestet. Diese brachte zwar die gewünschten Erfolge, war jedoch hinsichtlich Bestückung, Bedienung und Aktualisierung aufgrund der hohen Anzahl an Fertigungsaufträgen und Fertigungsstationen zu aufwendig in der Verwaltung. Aufgrund dieser Erfahrungen konnte die elek­tronische Plantafel in wenigen Tagen programmiert und eingesetzt werden. Hinter der grafischen Benutzeroberfläche steht ein SQL-Datenbankmodell, in dem die SAP-Fer­tigungsaufträge täglich aktualisiert werden. Die Benutzeroberfläche der Plantafel ist so verständlich wie Kanban aufgebaut und konzentriert sich auf das Wesentliche: die Schaffung von Transparenz durch die Vi­sualisierung der vor den Fertigungsstatio­nen wartenden Fertigungsaufträge. Darü­ber hinaus gibt sie Informationen über Am­pelstatus, Volumen und Fertigstellungster­min. Jeder Mitarbeiter bedient die elektro­nische Plantafel selbst. Hat der Mitarbeiter seinen Arbeitsgang abgeschlossen, geht er zur elektronischen Plantafel und taktet sei­nen Fertigungsauftrag einen Arbeitsgang weiter. Damit wird sein Arbeitsgang men­genmäßig entlastet und der nachfolgende Arbeitsgang belastet. Die Mitarbeiterein­satzplanung der Fertigungsgruppen erfolgt täglich, ggf. mehrmals. Die vor einem Ar­beitsgang liegenden Fertigungsaufträge und Fertigungsauftragsmengen sind dabei neben der Ampelschaltung und den zusätz­lichen Prioritätskennzeichen entscheidend für die operative Planung. Die aufwendige Arbeit, sich hinsichtlich Mengen, Termine und Prioritäten über alle Fertigungsstationen einen Überblick zu verschaffen, ist durch den Einsatz der elektronischen Pla­nungstafeln komplett entfallen. Gleichzei­tig konnte die Fließfertigung optimiert wer­den und zwar mit nun verkürzten Liegezei­ten und geringerem WIP-Bestand. Dieses Beispiel zeigt, dass selbst komplexeste Fer­tigungsprozesse mit entsprechenden Pla­nungsmethoden und Tools engpassorien­tiert gesteuert werden können, ohne einen enormen Planungsaufwand und IT-Kosten zu erzeugen. Wichtig für die engpassorien­tierte Feinjustierung der Fertigung ist Durch­blick auf allen Ebenen. Daten aus dem Shop Floor in Echtzeit sowie die Konzentration auf das Wesentliche bei der Visualisierung sind heute ein offenes Geheimnis in der Manufaktur von Montblanc.


Autoren:
Frank Derlien ist Leiter Federfertigung und Carsten Hense ist Leiter Produktion der Montblanc Simplo GmbH in Hamburg.
Andreas Gillessen ist Unternehmensberater bei Abels & Kemmner in Herzogenrath.

Picture of Dr. Bernd Reineke

Dr. Bernd Reineke