Mit Formeln aus der Theorie zum Kostenoptimum in der Praxis?

Möglichkeiten und Grenzen der Losgrößenoptimierung

Dr. G.-A. Kemmner1

Losgrößenverfahren zur Kosten­reduktion bei der Lagerhaltung und Beschaffung eines bestimmten Guts sind für Entscheider in der Logistik ein wichtiges Thema. Um die Potenziale jedoch umfassend ausschöpfen zu können, müssen Anwender auch die Grenzen der Losgrößenverfahren kennen und sich bewusst sein, dass man mit den Verfahren nicht alle gesamt­betrieblichen Interdependenzen berücksichtigen kann. Für den Einsatz an der strategisch richtigen Stelle ist deshalb entsprechende Methodenkompetenz über die Supply Chain hinweg gefragt.

Mit Losgrößenverfahren soll ein Optimum zwischen Lagerhaltungskosten und Be­schaffungskosten berechnet werden, um so die Gesamtkosten der Supply Chain zu mi­nimieren. Das Problem dabei ist jedoch, dass eine Losgrößenentscheidung, z. B. für einen spezifischen Wertschöpfungsschritt in der Produktion, nicht zwangsläufig für das Gesamtoptimum der Supply Chain för­derlich sein muss. Daher ist es unerlässlich, mögliche Interdependenzen zwischen ein­zelnen Gütern im Vorfeld zu analysieren.

Kostenarten bei der Losgrößenoptimierung

Die Grundlage aller Losgrößenberech­nungen bildet konsequenterweise die Er­mittlung der relevanten Kosten, wobei zwei gegenläufig reagierende Kostenarten zu be­rücksichtigen sind: Die Lagerhaltungskosten und die Beschaffungskosten. Die Lagerhal­tungskosten setzen sich zusammen aus den Zinsen des gebundenen Kapitals sowie Kos­ten für Alterung und Verschleiß, Verlust und Bruch, Transport und Handling innerhalb des Lagers, Lagerung und Abschreibung so­wie Lagerverwaltung und Versicherung.

Zu den Beschaffungskosten der Eigen­oder Fremdfertigung zählen vor allem Bestellkosten, Rabatte, Boni, Skonti, Zusatz­kosten bei ungünstigen Bestell- oder Ferti­gungsmengen, Transport-, Versicherungs­und Verpackungskosten sowie Auftragsbear­beitungskosten und die Rüstkosten.

Die Losgrößenoptimierung versucht, das Kostenoptimum aus Lagerhaltungs- und Beschaffungskosten zu finden. Die Anwendung bedarf einerseits Methodenkompetenz innerhalb dieser Disziplin, wichtig ist aber auch der Blick auf das unternehmerische Ganze.
Bild 1: Die Losgrößenoptimierung versucht das Kostenminimum aus Lagerhaltungs- und Beschaffungskosten zu finden

Größere Losgrößen in der Beschaffung füh­ren zu höheren Beständen und damit höheren Lagerhaltungskosten. Diese stei­gen i. Allg. proportional zur Losgröße, wäh­rend die Beschaffungskosten degressiv fallen (Bild 1). Um diese unterschiedlichen Kostenkurven zu einem Gesamtoptimum zu bringen, wurden und werden unter­schiedliche Verfahren entwickelt, die man in der Summe unter Losgrößenverfahren zusammenfasst.

Die wichtigsten Losgrößenverfahren

Bei den Losgrößenverfahren lässt sich zwi­schen statischen Verfahren und dyna­mischen Verfahren unterscheiden. Sta­tische Verfahren (wie das Andler-Verfahren) fokussieren nur die komplette Bedarfsmen­ge innerhalb eines Betrachtungszeitraums und sind damit nur überschlägige Berech­nungsverfahren. In die dynamischen Ver­fahren bzw. periodischen Losgrößenverfah­ren fließen hingegen Bedarfe über einen gewissen Zeitraum hinweg ein. Damit sind diese Verfahren grundsätzlich nachfrage­orientierter und können sich so verän­derten Bedarfen anpassen. Zu dieser Grup­pe von Verfahren gehören:

  • Das Wagner-Whitin-Verfahren,
  • das Part-Period-Verfahren (Stück-Perio­den-Ausgleichsverfahren),
  • das Stückkosten-Verfahren (Verfahren dergleitenden wirtschaftlichen Losgröße) so­wie
  • das Groff-Verfahren und
  • das Silver-Meal-Verfahren.

Die Anzahl unterschiedlicher Verfahren erklärt sich daraus, dass bisher niemand in einer Formel die komplexe Realität wirklich exakt abbilden konnte. Insofern sind alle Losgrößenverfahren nur Näherungslö­sungen. Einige sind jedoch näher am Opti­mum als andere. Die genannten Verfahren muss man deshalb sehr genau verstehen, um sie nutzbringend anwenden zu können.

Andler ist vielfach zu ungenau

Die von Kurt Andler entwickelte Formel er­mittelt das Minimum der Gesamtkosten­kurve (Bild 1), auf Grundlage der Annahme, dass die Gesamtbedarfsmenge eines Arti­kels in einem Planungszeitraum, z. B. ein Jahr, bekannt ist. Aus den Lagerhaltungs­kosten und den Beschaffungskosten leitet die Formel eine ideale Losgröße ab, die über den Planungszeitraum konstant bleibt.

Problematisch dabei ist, dass in der Praxis Produktions- oder Bestellbedarfe über einen Planungszeitraum nicht konstant sind, son­dern unregelmäßig aufeinander folgen und unterschiedlich hoch ausfallen (Bild 2).

Bild 2: Beispiel für den unregelmäßigen Bedarf an Fertigungs- oder Beschaffungsteilen

Wagner-Within ist sehr exakt

Das Wagner-Within-Losgrößenberech­nungsverfahren berücksichtigt, dass mit der Entscheidung über eine erste Losgröße im Betrachtungszeitraum automatisch auch der Spielraum für die Gestaltung der zeitlich nachfolgenden Losgrößen einge­schränkt wird. Das Verfahren ermittelt eine Folge von Losen unterschiedlicher Größe und Zeitabständen, die die Gesamtkosten bei einer einstufigen Einproduktfertigung ohne Kapazitätsbegrenzung minimiert.

Allerdings wird das Wagner-Whitin-Ver­fahren für Losgrößen für unzählige Pro­dukte sehr komplex. Aus diesem Grund wurden Näherungsverfahren mit ein­facheren Rechenmethoden entwickelt (Part-Period-Verfahren, Silver-Meal-Verfah­ren, Groff-Verfahren), die Vereinfachungen vornehmen und so das Kostenoptimum auch bei unterschiedlichen Losgrößen er­mitteln. Die Abweichungen vom exakt rech­nenden Wagner-Whitin-Verfahren können dabei sehr deutlich ausfallen (Bild 3).

Suchen Sie sich Ihre Wahrheit aus: Ermittelte Größen des ersten Loses in einem Planungszeitraum.
Bild 3: Ermittelte Größen des ersten Loses in einem Planungszeitraum

Viele Standard-ERP-Systeme verwenden das Wagner-Whitin-Verfahren nicht. Mithil­fe von Add-on-Lösungen lassen sich die Wertschöpfungsketten allerdings auch mit diesem sehr genaue Ergebnisse liefernden Verfahren optimieren.

Begrenzte Maschinenkapazität beeinflusst Formel

Allen genannten Verfahren ist gemeinsam, dass sie das Zusammen- bzw. Gegenein­anderwirken von Lagerhaltungskosten und Beschaffungskosten in einer einstufigen Einproduktfertigung ohne Kapazitätsbe­grenzung beschreiben. Doch eigentlich tritt die Frage nach einer Losgröße erst auf, wenn mehr als ein Produkt gefertigt wird. Auch wenn mehrere Produkte auf einer Anlage gefertigt werden, stimmen die dem Verfahren zugrundeliegenden Formeln, sofern sich die Losgrößen der beiden Pro­dukte nicht gegenseitig durch eine be­grenzte Maschinenkapazität beeinflussen. Doch in der Praxis ist die Maschinenkapa­zität häufig begrenzt. Es gibt zwar Losgrö­ßenoptimierungsverfahren, die eine ganze Prozesskette berücksichtigen. Doch will man realistischerweise in die Analysen auch noch einbeziehen, dass die Kapazi­täten auf den einzelnen Fertigungsstufen begrenzt sind, lässt sich die Realität nicht mehr vollständig mit all den gegebenen In­terdependenzen und Limitierungen durch­rechnen.

In der Beschaffung sieht es ähnlich aus. Auch hier lässt sich häufig keine isolierte Losgrößenbetrachtung bei einem einzelnen Produkt anstellen. Zum einen können sich mehrere verschiedene Produkte Beschaf­fungskosten „teilen”: Beispielhaft genannt sei ein Lkw, der mit mehreren Produkten beladen werden kann. Zum anderen geht es häufig darum, die Kapazität der Lkw-Lade­fläche möglichst vollständig auszunutzen, um die Transportkosten zu minimieren. Mehrere Produkte werden also gezielt zusammen bestellt und beeinflussen sich somit hinsichtlich ihrer Bestellmengen ge­genseitig. Mit der vermeintlich „optimalen” Bestellmenge eines Produkts wird folglich der Spielraum der Bestellmengen für die anderen Produkte automatisch einge­schränkt.

Fazit

In der Praxis sind bei der Berechnung von Losgrößen etliche Details zu berücksichti­gen. Der mit der Aufgabe der Losgrößen­optimierung Betraute muss daher die ein­zelnen Verfahren und ihre Eigenschaften genau verstehen. Losgrößenoptimierung ist nicht die einfache Supply-Chain-Optimie­rung mithilfe von Formelsätzen, die vom PC durchgerechnet werden. Vielmehr ist die Losgrößenoptimierung eine Betätigung für Spezialisten, die die Anwendung der Me­thode in den richtigen Kontext setzen und die Kostenberechnungen so durchführen, dass die Ergebnisse genau sind.


1 Dr. Götz-Andreas Kemmner ist Geschaftsführer der Abels & Kemmner Gesellschaft für Unternehmensberatung mbH. Herzogenrath
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Prof. Dr. Andreas Kemmner