Um die Bestände an Ersatzteilen im zweistelligen Prozentbereich zu senken, führte Medion ein neues Bedarfsprognosetool ein. Die Investition soll sich noch im laufenden Jahr amortisieren.
Kurze Produktlebenszyklen, hochpreisige Teile und schlecht vorhersehbare Bedarfe prägen die Ersatzteilversorgung in der Unterhaltungselektronikbranche. Bei der Medion AG hat dieser Bereich einen besonders hohen Stellenwert. Denn das Unternehmen fertigt PCs und Multimediageräte, Unterhaltungs- und Haushaltsgeräte sowie Kommunikationstechnik nach dem „Build-to-Order”-Prinzip. Erst wenn die Handelspartner für ihre Verkaufsaktionen bestellen, produzieren die Hersteller in China, Taiwan, auf den Philippinen oder in Europa die Geräte in der benötigten Stückzahl – von der elektrischen Zahnbürste bis zum Fernseher. Vorteil dieser Strategie ist, dass für Medion keine Lagerkosten entstehen. Den Import, die Distribution und den Bereich Aftersales steuert das Unternehmen in der Zentrale in Essen. Die eigentlichen Logistikaktivitäten hat der Händler dagegen komplett an mehrere externe Dienstleister ausgelagert und eine einstufige Logistik aufgebaut.
„Wir gestalten und terminieren unsere Produkte kundenindividuell. Dadurch steuern wir eine umfangreiche Ersatzteilvielfalt”, begründet Mathias Schwenck, seit siebeneinhalb Jahren bei Medion und für den internationalen Aftersales Service verantwortlich. Die einzelnen Produkte haben je nach Partner auch unterschiedliche Garantiezeiträume und Ausfallraten. Als Teil der Gesamtdienstleistung für seine Handelskunden bietet Medion für den Endverbraucher eine Hotline im eigenen Callcenter. In Garantiefällen führt das Handelsunternehmen Reparaturen durch, innerhalb Deutschlands teils auch vor Ort beim Kunden. Das erfordert eine hohe Verfügbarkeit der Ersatzteile.
Jedoch können diese Komponenten nicht über den gesamten Gewährleistungszeitraum nachbeschafft werden. Denn die Hersteller kündigen sie bereits deutlich vor Garantieablauf des Endproduktes ab. So sind etwa Motherboards für PCs oft nur wenige Monate lieferbar, Kunststoffgehäuse für Notebooks häufig nur während der Produktion selbst. Das passende Scharnier, sollte es einmal während der Garantiefrist defekt sein, muss folglich rechtzeitig bestellt werden.
Die Bevorratung von Ersatzteilen für den Rest der Gewährleistungszeit sicherzustellen ist allerdings ein sehr schmaler Grat. Sind die Bestände zu gering, gehen die Ersatzteile aus, und die Kundengeräte können nicht mehr repariert werden. Dann muss Medion die defekten Geräte durch ein äquivalentes Produkt austauschen. Bei zu hoher Bevorratung bleibt das Unternehmen am Ende der Garantielaufzeit hingegen auf hohen Beständen sitzen, was die Kosten ebenfalls in die Höhe treibt.
Bei dem Prototyp des Analysesoftwaretools können Anwender jedem Ersatzteil ein Ausfallmuster zuordnen. Der Disponent kann die Bedarfsprognose ändern, indem er die Verbrauchsperioden umgewichtet.
Fünf Ausfallmuster
Alle Ersatzteile lagern zentral in Mülheim an der Ruhr. Für die Lagerhaltung und die Transporte zwischen Lager und Werkstatt sowie das Refurbishment (Generalüberholung) zeichnet die Essener van Eupen Logistik GmbH & Co.KG verantwortlich. Ab hier werden europaweit konsolidierte Reparaturwerkstätten mit Material versorgt. „Am Ende eines Garantiezeitraumes entscheiden wir, ob wir in Mülheim noch weitere Materialien brauchen und, wenn ja, in welcher Menge oder Größenordnung”, erläutert Schwenck. Berechnet werden die Bedarfe auf Basis der vorhergehenden Verbräuche oder Garantieausfälle. Dazu bedienten sich die 15 Materialdisponenten bei Medion in der Vergangenheit mehrerer Individuallösungen.
Um diese Prozesse zu systematisieren, zu dokumentieren und nachprüfbar zu machen, beauftragte Medion Anfang 2010 die Abels & Kemmner GmbH aus „Herzogenrath bei Aachen. Die Berater sollten die Bedarfsprognosen im Rinkauf mit einer verbesserten Rechenmethode optimieren. „Ziel war es, die Ausfallraten effektiver und genauer zu kalkulieren, um nicht unnötlg Kapital zu binden oder die Garantieleistungen nach oben zu treiben“, erinnert sich Schwenck. Wegen der sehr geringen Verbrauchszeiträume von weniger als sechs bis zwölf Monaten und der segr unsteten Bedarfe analysierten die Experten zunächst die Verbrauchsreihen von Projekten aus der Vergangenheit. Dabei kristallisierten such fünf verschiedene Typen von Ausfallmustern heraus.
Im zweiten Schritt entwickelten sie einen Prototypen des grafischen Analysesoftwaretools „DISKOVER SCO“. Über die Beurteilung der ersten Phase eines Verbrauchszeitraums können die Anwender damit jedem Ersatzteil das geeignete Ausfallmuster zuordnen und den Bedarf für einen Garantiezeitraum ermitteln (siehe Grafik). Der Disponent kann diese Prognose ändern, indem er per Mausklick die Verbrauchsperioden umgewichtet.
Nach einer Testphase im letzten Quartal 2010 ging das neue Tool Anfang dieses Jahres in den Vollbetrieb. Insgesamt flossen weniger als 100.000 Euro in das Projekt, das sich laut Schwenck noch in diesem Jahr amortisieren wird. Bereits heute hat Medion mit dem neuen Prognoseverfahren die Restbedarfseindeckung im zweistelligen Prozentbereich verbessert. Das resultiert in einer höheren Lieferbereitschaft und Materialverfügbarkeit bei gleichzeitig niedrigeren Beständen. „Was wir jetzt berechnen für auslaufende Projekte, wirkt sich erst in zwei Jahren aus. Ich sehe aber jetzt schon Tendenzen, dass unnötige oder zu späte Zukäufe vermieden werden“, resümiert Schwenck. Langfristiges Ziel sei es, die Bestände im zweistelligen Bereich zu senken.
Über die Medion AG:
Die Medion AG mit Sitz in Essen beschäftigt derzeit 1.026 Mitarbeiter.
Im Jahr 2010 erwirtschaftete der Anbieter von Konsumelektronik einen Umsatz von mehr als 1,6 Mrd. Euro. Die Abnehmer des Unternehmens sind Einzel- und Großhandelsunternehmen in ganz Europa, einschließlich Skandinavien und Großbritannien, aber auch in Australien und den USA.
Zu den Kunden zählen unter anderem Aldi, Mediamarkt, Metro, Real, Tchibo, Sainsbury’s (GB), Dixons (GB) oder Carrefours (F).