Reorganisation der Montblanc-Fertigung Goldfedermanufaktur

Von Frank Derlien, Carsten Hense*) und Andreas Kemmner

Neben der Fertigungssteuerung erhielt die Montblanc-Goldfedermanufaktur einen neuen Zuschnitt ihrer Fertigung, mit dem Ziel, die Durchlaufzeiten und Umlaufbestände stark zu reduzieren. Die Lean-Strategie nimmt Form an.

Der Fertigungsprozess der Federaggregate-Fertigung ist sehr komplex. Er gleicht einer Manufaktur mit Fliessfertigung. Die Federaggregate werden ausschließlich in Handarbeit gefertigt. Der Fertigungsprozess besteht aus bis zu 35 verschiedenen Arbeitsschritten, die höchste manuelle Präzision verlangen. So wird zum Beispiel jede einzelne Federspitze bei Montblanc von Hand geschliffen, gesetzt und geschrieben.
Die sehr hohe Variantenvielfalt sowie die nachfragebedingt täglich wechselnden Engpässe in der Fertigung werden heute durch elektronische Plantafeln schnell und effizient gemeistert. Dies war eine Grundvoraussetzung für die jetzt erfolgte Reorganisation der Goldfedermanufaktur.

Analyse der Ist-Situation

Vor der Konzeption stand, wie immer, zuerst die detaillierte Analyse der Ist-Situation. Aufgrund der Komplexität der Montblanc-Fertigung und der Aufgabenstellung wurde dieser Phase bewusst viel Zeit gewidmet. Dies hat sich sehr bewährt, konnten doch das Grob- und Feinkonzept in relativ kurzer Zeit erarbeitet und verabschiedet werden. Im Zentrum standen detaillierte Analysen zu Materialfluss, Wertstrom und Layout. Basis waren dabei sowohl historisierte Daten als auch Plandaten zukünftiger Perioden.

Materialflussoptimierung

Gewachsene Abteilungsstrukturen bei Montblanc und Neuinvestitionen hatten in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Materialfluss in der Abteilung nicht mehr den Anforderungen gleichmäßiger Materialströme entsprach. Die Herausforderung bestand darin, die drei Fertigungsgruppen innerhalb der bestehenden, relativ beengten Räumlichkeiten hinsichtlich ihres Materialflusses zu optimieren, aber auch die angestrebte Fertigungssegmentierung zu unterstützen.
Der eigentliche Materialfluss in den drei Fertigungsgruppen wurde in einem sogenannten U-Layout konzipiert und umgesetzt. Gewählt wurde ein Materialfluss im U-Layout mit zentraler Materialversorgungsschiene. Diese Lösung benötigt wesentlich weniger Platz als ein «klassischer» U-Layout-Ansatz. Der realisierte Ansatz weist geringfügig längere Wegstrecken für die Montblanc-Mitarbeiter hin zu anderen Arbeitsplätzen gegenüber dem ersten Ansatz auf. Er punktet jedoch bezüglich noch kürzerer Materialtransportwege, einer höheren Materialtransparenz bezüglich der Umlaufbestände und kann alle Arbeitsplätze zentral unterhalb der Materialversorgungsschiene mit Strom, Abluft usw. versorgen (Grafik 1).

Erster Ansatz U-Layout
Erster Ansatz: U-Layout

Sammelpunkt Warenausgang

Der Materialfluss im neuen U-Layout beginnt in der Montblanc-Fertigung am Schweiß-Arbeitsplatz mit dem Anschweißen einer Iridium-Kugel. Nach der Bearbeitung des Fertigungsauftrags an weiteren Arbeitsplätzen verlässt das Material nach dem Arbeitsgang Vorsetzen zum ersten Mal die Abteilung. In der Abteilung Gleitschleifen werden die Federn getrommelt (entgratet). Es gibt insgesamt drei Schnittstellen zu externen Abteilungen im Laufe des gesamten Fertigungsprozesses (Gleitschleifen, Rhodinieren, Waschen). Für diese Warenausgänge wurde ein zentraler Sammelpunkt «Warenausgang» geschaffen. Er befindet sich zentral in unmittelbarer Nähe zu allen drei Montblanc-Fertigungsgruppen und kann auf kurzem Weg erreicht werden. Dieser Sammelpunkt ist in drei Bereiche gegliedert: Jede externe Weiterbearbeitung hat ihren eigenen Bereich, aus dem die Mitarbeiter das Material selbstständig abholen.

Sammelpunkte Montblanc-Wareneingang

Nach der externen Bearbeitung wird das Material von diesen Abteilungen wieder auf die eigens geschaffenen Bereitstellflächen (Schnittstelle intern/extern) in die Goldfedermanufaktur transportiert. Diese Bereitstellflächen befinden sich direkt neben den nachfolgenden Arbeitsgängen, wodurch das zur Weiterbearbeitung anstehende Material visuell sofort erkennbar ist. Die Bereitstellflächen sowie die zentrale Materialversorgungsschiene gewährleisten damit maximale Transparenz in den Fertigungsgruppen bezüglich des zur Bearbeitung anstehenden Materials.
Neben dem letzten Arbeitsgang, dem sogenannten Schreiben, bei dem mit Montblanc-Tinte getestet wird, ob die Feder auch “mühelos” über das Papier gleitet und damit den hohen Qualitätsansprüchen gerecht wird, wurde nur der Arbeitsgang Polieren nicht in das U-Layout integriert. Da das Polieren der letzte Arbeitsgang des zweiten internen Segments ist, sind die zusätzlichen Transportwege sehr gering und für die Konzeption daher akzeptabel (Grafik 2).

Materialfluss
Materialfluss

Fertigungssegmentierung

Der zentrale Bestandteil, um die Durchlaufzeiten und die Umlaufbestände stark reduzieren zu können, ist die Reorganisation der Montblanc-Fertigung in Fertigungssegmente. Der neue Materialfluss und das neue U-Layout berücksichtigen und unterstützen diese Reorganisation. Gegenüber der bisherigen werkstattorientierten Fertigung konnten mit der Fertigung in Segmenten (Fertigungsblöcken) sowohl Durchlaufzeiten als auch Umlaufbestände drastisch reduziert werden.

Struktur der Blockfertigung

Während des Montblanc-Fertigungsprozesses müssen die Federaggregate mehrmals die Goldfedermanufaktur verlassen, um in anderen Abteilungen weiterbearbeitet zu werden (Gleitschleifen, Rhodinieren, Waschen). Durch diese nicht auflösbare Struktur wurden die Segmentgrenzen quasi auf “natürliche” Art und Weise vorgegeben: Sie liegen immer dort, wo die Federaggregate die Federfertigung verlassen (Segmentende) beziehungsweise wieder in die Federfertigung eingeschleust werden (Segmentanfang). Zwischen diesen “natürlichen” Segmentgrenzen gelang es, jeweils eine durchgängige Fließfertigung zu gestalten.
Die neue Montblanc-Fertigungsstruktur verfügt somit über vier interne und drei externe Segmente. Ein Fertigungsauftrag muss innerhalb eines Arbeitstages alle Arbeitsgänge eines Segments (intern oder extern) durchlaufen. Die ideale Durchlaufzeit für einen Fertigungsauftrag betrüge damit sieben Arbeitstage statt der bisherigen durchschnittlichen 33 Arbeitstage.

Als Zielgröße für die Durchlaufzeit werden jedoch zehn Arbeitstage angestrebt: An sensiblen Arbeitsplätzen werden Pufferbestände innerhalb der Segmente benötigt, um innerhalb der Prozesskette keine Kapazitäten an anderen Arbeitsplätzen durch Maschinenausfälle zu verlieren. Hier gehen Montblanc Mitarbeiterauslastung und Produktivität klar vor Durchlaufzeit- und Bestandsreduzierung. Zum Go-Live wurden die Pufferbestände für die Startkonfiguration der Segmentfertigung sogar noch etwas höher angesetzt, um einen möglichst reibungslosen Start sicherzustellen. Die Pufferbestände werden im weiteren Betrieb dem System nach und nach wieder entzogen.
Die Fertigungssegmentierung begrenzt klar die Umlaufbestände in der Goldfederfertigung. In jedem Fertigungssegment befinden sich immer nur Fertigungsaufträge in Höhe der Tageskapazität der Fertigungsgruppe. Der Umlaufbestand errechnet sich damit aus der Nettodurchlaufzeit aller Segmente multipliziert mit der Tageskapazität je Fertigungsgruppe zzgl. der Pufferbestände. Verglichen mit den früheren Umlaufbeständen wird jetzt zwischen 50 und 65 Prozent weniger Material im Prozess benötigt (Grafik 3).

Fertigungssegmente
Fertigungssegmente

Auftragseingang und Kapazitätsbedarf
Die 14- und 18-Karat-Montblanc-Goldfedern warten in Styropor-Trays auf ihren Einsatz an der Spitze des Füllfederhalters in der Schreibgeräte-Endmontage. Bis sie jedoch dahin gelangen, haben sie einen komplexen, mehrstufigen, zeit- und handarbeitsintensiven Fertigungsprozess durchlaufen (Bild).

Federaggregate werden in Trays eingelagert und mit den entsprechenden Kanbankarten bestückt.
Federaggregate im Styropor-Tray

Komplexer Fertigungsprozess bis zur Endmontage

Vor dem Hintergrund der Fertigungskomplexität stellte die Optimierung des Mitarbeitereinsatzes (Kapazitätsauslastung) bei gleichzeitiger Reduzierung von Durchlaufzeiten und Umlaufbeständen eine große Herausforderung für die Fertigungssteuerung der Goldfedermanufaktur dar.
Um die Kapazitätsauslastung in der Goldfederfertigung bei Montblanc zukünftig zu nivellieren und zu verstetigen, dürfen die Schwankungen im Auftragseingang (Nachfrageschwankungen) nicht mehr in die drei Fertigungsgruppen schwappen. Um dies zu verhindern, wurde die heutige Fertigungssteuerung um das Element einer Heijunka-Steuerung erweitert.

Heijunka

Unter dem Begriff Heijunka versteht man den Prozess des Glättens erforderlicher Kapazitätsbedarfe. Die geglättete Produktion gilt als die effektivste und kostengünstigste Methode der Fertigung. Die zu Projektbeginn durchgeführten Analysen der Auftragseingangsdaten wiesen sehr hohe Schwankungen in den täglichen Montblanc-Auftragseingangsmengen innerhalb der Fertigungsgruppen auf: vom bis zu Siebenfachen der Tageskapazitätsgrenze bis hin zu gar keinem Auftragseingang über mehrere Tage hinweg. Wurde eine Gesamtanalyse über alle drei Fertigungsgruppen hinweg durchgeführt, reduzierten sich insbesondere die Perioden mit gar keinem Auftragseingang sehr stark. Damit wurde klar, dass die Heijunka-Steuerung neben der Nivellierung der Auftragseingänge und der Kapazitätsauslastung innerhalb der Fertigungsgruppen auch für den Ausgleich zwischen den Fertigungsgruppen eingesetzt werden musste.

Taktung

Jede Montblanc-Fertigungsgruppe verfügt über ihr eigenes Heijunka-Board. Dieses wird mit den täglichen Auftragseingängen durch die Fertigungssteuerung bestückt. Basis für die tägliche Einlastung von Fertigungsaufträgen in die Fertigungsgruppen aus dem Heijunka-Board ist die wöchentliche Mitarbeitereinsatzplanung. Die Anzahl der bearbeitbaren Federaggregate stellt den Takt dar, mit dem täglich aus dem Heijunka-Board Fertigungsauftragsmengen an den ersten Arbeitsgang der Fertigungsgruppen eingelastet werden müssen.
Dieser “Takt” (Anzahl täglich zu bearbeitender Federaggregate) wird nun von den Fertigungsgruppen von Fertigungssegment zu Fertigungssegment weiterverfolgt. Mit einer Durchlaufzeit von einem Arbeitstag werden die Mengen von Segment zu Segment “weitergetaktet”. Dabei werden die Pufferbestände selbstverständlich berücksichtigt. Die Organisation der Arbeit innerhalb der Segmente sowie die Besetzung der entsprechenden Arbeitsplätze organisiert jede Fertigungsgruppe für sich selbst.
Durchlaufzeiten und Umlaufbestände werden dabei täglich für jede Fertigungsgruppe, für jedes Fertigungssegment und für jeden einzelnen Arbeitsplatz dokumentiert, historisiert und in monatlichen Berichten ausgewertet.

Nivellierung zwischen Fertigungsgruppen

Sind keine Aufträge mehr im Heijunka-Board vorhanden beziehungsweise läuft das Heijunka-Board mit Aufträgen über, reicht die Nivellierung innerhalb der Fertigungsgruppe nicht mehr aus. Ist dies der Fall, muss ein Abgleich zwischen den drei Fertigungsruppen erfolgen.
Jede Montblanc-Fertigungsgruppe fertigt ein anderes Produktprogramm. Aufgrund dessen können die Fertigungsaufträge nicht beliebig zwischen den Gruppen ausgetauscht werden. Es existiert nur eine Produktgruppe, die in allen drei Fertigungsgruppen produziert werden kann. Diese Produktgruppe ist ein Volumenmodell mit regelmäßigem Verbrauchsverhalten und erleichtert damit den Ausgleich zwischen den Gruppen. Ein Ausgleich ist immer dann notwendig,
wenn der Auftragseingang so gering ist, dass mit “verlorenen” Kapazitäten in einer Gruppe gerechnet werden muss. In diesem Fall werden Aufträge des Volumenmodells aus dem Heijunka-Board der einen Fertigungsgruppe in die andere Fertigungsgruppe übertragen. Es kann aber auch vorkommen, dass ein Heijunka-Board aufgrund eines starken Auftragseingangs “überläuft”. Sollte der Auftragsbestand im Heijunka-Board fünf Arbeitstage übersteigen, werden Fertigungsaufträge in die anderen beiden Fertigungsgruppen übertragen.

Visualisierung im Heijunka-Board

Das Heijunka-Board zur Nivellierung und Glättung der Fertigungssegmente wurde innerhalb der bereits bestehenden elektronischen Plantafeln in der Goldfederfertigung realisiert. Alle erforderlichen Berechnungsmechanismen werden durch das elektronische System automatisch vorgenommen. Anstelle manueller  Boards werden die Informationen an großen Flatscreens, verteilt in der Goldfederfertigung, angezeigt. Auf diese Weise gelang es, visuelles Management mit effizienter Bedienung zu verknüpfen (Grafik 4).

Muster Plantafel inkl. Heijunka
Muster Plantafel inkl. Heijunka

Das neue Layout, der neue Materialfluss, die Fertigung in Segmenten sowie die Heijunka-Steuerung haben sich in der Montblanc-Goldfedermanufaktur inzwischen bewährt. Die neue Goldfedermanufaktur ist damit ein weiteres wesentliches Gestaltungselement der Lean-Strategie von Montblanc geworden.


*) Frank Derlien ist Leiter der Federfertigung und Carsten Hense ist Leiter Produktion der Montblanc Simplo GmbH, Hamburg

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Prof. Dr. Andreas Kemmner