Gremlin Electronics optimiert Planung und Disposition
von Dr. Bernd Reineke und Armin Klüttgen
Diverse Faktoren – wie beispielsweise lange Wiederbeschaffungszeiten, Beschaffungsrestriktionen, starke Mengenschwankungen sowie Terminverschiebungen auf Seiten der Nachfrage – erschweren die Planung und Disposition. Dies kann schnell zu Überbestand und/oder fehlender Lieferbereitschaft führen. Die Gremlin Electronics Inc.* in Großbritannien konnte mit der Hilfe der Unternehmensberatung Abels & Kemmner UK ihre Bestände senken und die Lieferbereitschaft steigern.
Gremlin Electronics Inc. gehört zu den größten Unternehmen der europäischen Elektronikindustrie. Die Komponenten der Produkte, die überwiegend nach eigenen Entwürfen gefertigt werden, beschafft Gremlin Electronics größtenteils in China. Die Lieferzeiten betragen zwischen 60 und 150 Tagen. Alleine die Transportzeit beträgt bei der Container-Verschiffung aus Asien ca. sechs Wochen. Die Kunden von Gremlin Electronics sind überwiegend Fach- und Großhandelsunternehmen und fordern durchgehend höchste Lieferbereitschaft. Bei Gremlin Inc. laufen täglich ca. 20.000 Kundenauftragspositionen ein – größtenteils mit einer Lieferfrist von 24 Stunden. Daher ist wegen der langen Beschaffungsvorlaufzeiten ein ausreichend hoher Bestand erforderlich. Wenn sich nun die Bedarfssituation auf der Kundenseite verändert, werden die im Voraus beschafften Artikel allerdings nicht mehr benötigt und somit zum Überbestand. Hinzu kommt, dass die Logistikkosten es erzwingen, dass die Container aus Übersee komplett befällt sind. Es müssen also regelmäßig größere Mengen bestellt werden, als aktuell jeweils benötigt werden. Ein kleinerer Teil der Bestellpositionen betrifft so genannte „Ausnahmen”.
Dies sind sporadisch auftretende, meist sehr große Verbrauchsmengen, die nicht innerhalb von 24 Stunden, sondern erst nach einer vereinbarten Lieferzeit geliefert werden müssen. Beispiele für solche Ausnahmen sind Aktionen oder Neueinrichtungen in Verkaufsniederlassungen von Kunden: Der Kunde braucht einmalig große Mengen bestimmter Artikel, die zu einem festgelegten Zeitpunkt geliefert werden müssen. Verschiebt sich der Termin oder wird auf Kundenseite kurzfristig die Abnahmemenge geändert, treibt das die Lagerbestände in die Höhe.
Lieferbereitschaft verbessern, Kosten reduzieren
Das Projekt bei Gremlin Inc. hatte die Zielsetzung, die Lieferbereitschaft zu erhöhen und gleichzeitig die Logistikkosten deutlich und nachhaltig zu reduzieren. Die Berater von Abels & Kemmner untersuchten sowohl die Methodik der Planung und Disposition als auch die vorhandene Systemunterstützung, um Verbesserungspotenziale aufzudecken. Direkt zu Beginn des Projekts wurden die Anforderungen an die aus dem ERP-System bereitzustellenden Daten abgestimmt, die für diverse Analysen und Simulationen der Berater benötigt wurden. Zur Durchführung der Analysen und Simulationen nutzen die Berater das Simulationssystem DISKOVER SCO. Mit diesem System kann das logistische Verhalten der gesamten Wertschöpfungskette dynamisch simuliert und damit berechenbar gemacht werden.
Mithilfe der Simulationen ermittelten die Berater, mit welchen. Parametereinstellungen des ERP-Systems welche Lieferbereitschaft bei welchen logistischen Kosten erreicht werden kann. Beispiele für Stellgrößen sind: Losgrößen- und Mindestbestellmengen, unterschiedliche Wiederbeschaffungszeiten, Forecast-, Sicherheitsabstands- und Dispositionsverfahren sowie Verfahrensparameter.
Konzeptionelle Kernmaßnahme des Projekts war die Einführung einer durchgängigen Planung und Disposition der Warenströme. Dieser Prozess startet mit der Klassifizierung der Artikel und setzt sich fort mit dem Regelwerk der Disposition. Letzteres nimmt sowohl Einfluss auf die Absatzplanung als auch auf die Disposition selber.
Wesentlicher Bestandteil des neuen Planungsprozesses ist die regelmäßige Klassifizierung des vollständigen Artikelsortiments nach
- ABC – wirtschaftliche Bedeutung,
- XYZ – Regelmäßigkeit des Verbrauchs (Einschätzung der Planbarkeit) und
- STU – Anzahl Kunden pro Artikel sowie
- ELA – Lebenszyklus.
Diese Klassifizierungsmerkmale liefern nicht nur Transparenz über die Zusammensetzung des aktuellen Sortiments, sondern sind auch wichtige Größen für die Entscheidung, welche Planungs- und Dispositionsverfahren und -parameter für welchen Artikel eingestellt werden sollten.
Automatische Datenpflege für große Artikelmengen
Durch die Vielzahl der verschiedenen Eingangsparameter ist dieser Optimierungsschritt manuell nicht mehr durchführbar. Daher erarbeiteten die Berater ein Regelwerk, das genau festlegt, welche Artikelklassen wie zu planen und zu disponieren sind. Das Regelwerk wird durch eine Auskopplung aus dem Simulationssystem DISKOVER SCO automatisch abgearbeitet. Die rationelle und zuverlässige monatliche Aktualisierung ist damit auch für sehr große Artikelsortimente möglich.
Nach Artikelklassifizierung und Anwenden des Dispositionsregelwerks ist nun im ERP-System eingestellt, wie welcher Artikel zu planen und zu disponieren ist. Die Planung erfolgt auf Monatsbasis und pro einzelnen Artikel. Eine weitere Differenzierung nach Branche und Kunden ist für die Zukunft geplant. Unterstützt durch DISKOVER SCO werden, wo es möglich ist, Vorgänger- und Nachfolgerbeziehungen zur Prognose genutzt. Das intensive Monitoring des Anlaufprozesses mit einer zeitnahen Korrektur der Planung ist fest im Prozess verankert.
Für die Bedarfsprognose wird aus vorliegenden statistischen Daten sowie Vertriebsinformationen eine integrierte Prognose gebildet. Diese integrierte Prognose fließt zusammen mit dem aktuellen Bestand, den vorhandenen Bestellungen sowie den Bestellanforderungen und Kundenaufträgen in den nächtlichen MRP-Lauf und in die mehrfachen täglichen MRP-Netchange-Läufe ein.
Ausnahmeplanungen – wie Aktionen mit Termin und Menge – können von den Vertriebsmitarbeitern in Excel erfasst und per E-Mail an den DISKOVER-Service gesendet werden. Sie werden von DISKOVER SCO automatisch verarbeitet. Der Vertriebsmitarbeiter erhält von DISKOVER SCO eine Meldung über die Verarbeitung seiner Planzahlen. Den zuständigen Einkäufer informiert das System darüber, dass sich seine Artikel in einer Aktion befinden. Die Materialdisponenten erhalten eine Meldung, dass die Aktion eingeplant ist und ob die gewünschten Aktionsmengen zum gewünschten Termin verfügbar sind. Bei Nicht-Verfügbarkeit kann der Disponent aus seiner Bildschirmmaske per Doppelklick direkt in die Dispositionsdarstellung des betroffenen Artikels wechseln und geeignete Maßnahmen ergreifen.
Der Disponent beschäftigt sich nach der Bearbeitung der Planaufträge, zu denen er von DISKOVER Vorschläge zum Start- und Bestelltermin erhält, systematisch mit den akuten Planungs- und Dispositionsproblemen, so z. B.:
- mit einer Unterdeckung innerhalb der Wiederbeschaffungszeit,
- aktuellen Fehlbeständen,
- Sicherheitsbestandsunterschrei-tungen innerhalb der Wiederbeschaffungszeit,
- akuten Unterschreitungen der Sicherheitsbestände,
- Artikeln, bei denen die aktuellen Bedarfe höher sind als die Prognose,
- rückständigen Bestellungen oder Fertigungsaufträgen.
Alert-Mechanismen stellen sicher, dass Artikel mit der höchsten Dringlichkeit sofort aufgezeigt und dispositiv angegangen werden können. Ausnahmenplanungen – wie Aktionen und Einrichtungen – werden als eigenständiges Bedarfselement mit Menge und Termin in der Disposition dargestellt. Dadurch ist sichergestellt, dass diese Bedarfe klar von den regulären Bedarfen unterschieden und verwaltet werden können.
Ein weiterer Bestandteil der täglichen Dispositionsarbeit ist die Verbunddisposition. Durch sie sollen Bestellmengen einzelner Artikel mit Blick auf Logistikkosten und Lieferbereitschaft optimal zusammengestellt werden. Ein Optimierungsalgorithmus in DISKOVER SCO berücksichtigt die Randbedingungen. Bereits kurz nach der Umsetzung zeigte sich, dass Lieferbereitschaft und Lagerumschlag ansteigen und die Bestände sinken. Diese erfreuliche Entwicklung hat sich kontinuierlich fortgesetzt. Mit verbesserter Lieferbereitschaft und geringerem Bestand kann Gremlin Electronics Inc. zwischenzeitlich bei sinkenden Kosten seinen anerkannt guten Service am Markt weiter ausbauen.
(*Name aus unternehmenspolitischen Gründen geändert