Wirtschaftlich produzieren? – Termintreue messen!

Es genügt heute nicht mehr, dass Bauteile oder Waren einwandfrei funktionieren. Auch logistische Leistungen stellen ein wesentliches Produktmerkmal dar; die Produkte müssen mit kurzen Lieferfristen und zuverlässigen Lieferterminen angeboten werden. Kunden möchten möglichst geringe Bestände halten und benötigen deshalb schnelle und termintreue Belieferungen.

Wir wissen alle, dass kurze Lieferzeiten und hohe Liefertreue bei vielen Produkten nur noch schwierig sichergestellt werden können. Und hohe Variantenbreite und unregelmäßige Nachfrage machen diese Aufgaben nicht gerade leichter.

Möglicherweise messen viele Unternehmen ihre Lieferbereitschaft und Termintreue aus diesem Grund erst gar nicht. Häufig erlebe ich in Gesprächen jedenfalls, dass Geschäftsführer und Logistikleiter ihre Lieferbereitschaft und Termintreue nicht kennen. Statt konkreter Zahlen, erhalte ich nur Schätzungen. Ob die eigene Lieferfähigkeit ausreichend ist oder nicht, wird mehr an Kundenaussagen als an belastbaren Zahlenwerten gemessen. Oft gibt es nicht einmal konkrete Sollvorgaben für die eigene Lieferbereitschaft.

Betriebskennlinie

Dabei stellen Lieferbereitschaft und Termintreue in der Produktion und bei der Kundenauslieferung die vielleicht wichtigste logistische Sollgröße in Hinblick auf Bestände und Flexibilitätskosten der Wertschöpfungskette dar! Wie wollen wir eine Wertschöpfungskette logistisch und dispositiv richtig einstellen, wenn wir zu dieser Sollgröße nicht den erreichten Ist-Wert zurückführen und damit den Regelkreis schließen? In unseren Wohnungen sichern gleich mehrere, geschachtelte Regelkreise die Raumtemperatur, vom Hausregler über den Raum- bis zum Heizkörperregler. Im Unternehmen verzichten wir zuweilen schon auf die Sollvorgabe für die logistische Raumtemperatur und die erreichte messen wir schon gar nicht.

Zugegeben: In der Praxis ist es nicht immer einfach, Termintreue und Lieferbereitschaft zu messen. Zuerst einmal muss man überhaupt wissen, dass ein Kunde etwas benötigt, ehe man messen kann, ob es verfügbar war oder pünktlich geliefert wurde. Kunden, die in den Baumarkt spazieren und wieder verschwinden, weil das gesuchte Produkt nicht vorrätig ist, hinterlassen keine Spuren. Geschäftskunden, die über Onlineportale Produkte bestellen, verhalten sich zuweilen genauso. Wollen Sie in solchen Situationen Lieferbereitschaft messen, können Sie diese nicht mehr am konkreten Kundenbedarf festmachen. Den Prozentsatz der Artikel zu messen, die out-of-Stock sind, reflektiert jedoch nur sehr verschwommen die Lieferbereitschaft.

Deutlich klarer lassen sich Termintreue und Lieferbereitschaft messen, wenn Sie von Ihren Kunden Bestellungen erhalten: Sie erfahren den Kundenwunschtermin – dieser lautet bei Lagerartikeln ggf. “sofort” – und einen eventuell vereinbarten Liefertermin. Gegen diese beiden Referenzwerte könnten Sie Ihre Auslieferung messen – wäre da nicht das Problem, dass die meisten ERP-Systeme Sie dabei im Stich lassen.
Häufig kann nämlich nur ein Terminfeld zu jedem Kundenauftrag oder jeder Kundenauftragsposition hinterlegt werden; zwischen Kundenwunschtermin und vereinbartem Liefertermin wird nicht unterschieden. Werden Termine vom Kunden oder Lieferanten geändert, wird dieses Terminfeld überschrieben. Der ursprüngliche Termin geht damit verloren. Das hat zur Folge, dass sie auch dann noch auf 100 % Lieferbereitschaft und Termintreue kommen können, wenn Sie einen vom Kunden sofort gewünschten Auftrag tatsächlich erst mit fünfmaliger Terminverschiebung und nach sechs Monaten ausgeliefert haben.

Sie sehen: Zuweilen wiegen sich Unternehmen in falscher Sicherheit hinsichtlich Termintreue und Lieferbereitschaft. Die Quittung durch den Kunden folgt dann später. Daher: Ergänzen Sie direkt morgen die Terminfelder in der Auftragserfassungsmaske Ihres ERP-Systems, definieren Sie artikelspezifische Lieferbereitschaftsgrade und legen Sie mit dem Messen los. Ich garantiere Ihnen ein ganz anderes logistisches Lebensgefühl – und zuweilen viel Ernüchterung. Ihre Kunden werden es Ihnen aber letztlich danken!

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Prof. Dr. Andreas Kemmner