Sysiphus-Arbeit der Logistik – ein selbstgewähltes Los!

Kennen Sie die griechische Sage von Sysiphus? Er erhielt die Aufgabe, einen Felsbrocken den Berg hinaufzurollen. Der Felsbrocken entglitt ihm am Ende seines Weges immer wieder, sodass er wieder von vorne anfangen musste.

Kennen Sie das typische Tagesgeschäft der Logistik? Sie hat die Aufgabe, die richtige Ware in der richtigen Menge zum richtigen Termin zu liefern und dabei die Fertigungskapazitäten gut auszulasten und Durchlaufzeiten wie Bestände gering zu halten

Das gelingt der Logistik genauso wenig, wie es Sysiphus gelang, seinen Felsbrocken erfolgreich auf den Berg zu rollen.

Die Ursachen hierfür liegen zum einen in Zielkonflikten, zwischen denen man sich klar positionieren müsste; darüber habe ich an dieser Stelle schon ein anderes Mal geschrieben. Weitere wesentliche Ursachen liegen in den zahlreichen Störgrößen begründet, mit denen praktisch jede  Wertschöpfungskette zu kämpfen hat: Unzuverlässige Liefermengen und Liefertermine von Lieferanten, unerwarteter Ausschuss durch Qualitätsprobleme, Nichtverfügbarkeit von Anlagen, Maschinen, Werkzeugen oder Betriebsmittel; kranke Mitarbeiter, unerwartete Marktbedarfe, usw.

Im ERP-System haben wir unsere Wertschöpfungskette sauber durchgeplant, die Termine der einzelnen Fertigungsaufträge und Bestellungen passen ordentlich zueinander, die Welt ist in Ordnung. Und dann bricht das Chaos der Unzuverlässigkeiten aller am Wertstrom beteiligten Ressourcen los. Ehe wir uns versehen, landen wir in der Welt der Notfallstrategien, Kompromisse und Abstimmungsgespräche und sind heilfroh, dass die Ware irgendwann dann doch noch fertig wird, auch wenn viele der vorgegebenen Zielgrößen nicht erreicht werden.

Muss Logistik immer in Sysiphus‘ Arbeitsmethodik ausarten? Bei Sysiphus hatten die Götter die Finger im Spiel, in unseren Wertschöpfungsketten jedoch hätten wir die Macht, den Störungen zu begegnen!

Wie bei jeder regelungstechnischen Aufgabe, müssen wir eine Störgröße entweder beseitigen oder sie kompensieren. Ansonsten müssen wir mit der Störgröße leben und akzeptieren, dass wir unsere Zielgrößen nicht erreichen können.

Die Störgröße eines unzuverlässigen Lieferanten kann ich entweder beheben, indem ich ihn zuverlässiger mache, das beinhaltet ggf. auch den Wechsel des Lieferanten, oder ich kompensiere seine Unzuverlässigkeit mit Sicherheitsbeständen. Entsprechendes gilt für alle anderen Störgrößen in der Wertschöpfungskette.

Häufig sind wir in der Praxis weder bereit, das Problem zu lösen, noch die Sicherheitsbestände aufzubauen; statt dessen beteiligen wir uns an Sysiphus‘ Dauerbeschäftigung.

Wie wäre es mit einem systematischen „Sicherheitsbestandsmanagement“, um aus diesem Teufelskreis auszusteigen?

Wir erfassen alle Unsicherheiten in der Wertschöpfungskette statistisch und ermitteln daraus die (theoretisch) erforderlichen Sicherheitsbestände, um das Problem zu kompensieren. Ich würde Ihnen nicht empfehlen, die ermittelten Sicherheitsbestände tatsächlich aufzubauen; sie könnten ihre Karriere außerhalb Ihres Unternehmens fortsetzen müssen. Durch die Ermittlung der Sicherheitsbestände gewinnen wir vielmehr eine wirtschaftliche Messgröße für die Kosten der Unsicherheiten in der Prozesskette.

Im Folgenden gehen wir die Probleme systematisch an, beginnend bei den teuersten Störgrößen. Sollten wir eine Störgröße nicht beseitigen können oder wollen, müssten wir allerdings doch bereit sein die erforderlichen Sicherheitsbestände aufzubauen. Machen wir dies nicht, leben wir weiterhin mit den logistischen Improvisationen und rollen immer wieder dieselben logistischen Steine in Richtung Zielerreichung hinauf, um sie dann wieder herunterkullern zu sehen. Wohl praxisnah, aber nicht wirklich professionell, oder?

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Prof. Dr. Andreas Kemmner