Digitaler Zwilling ebnet Weg zu besserer Absatzplanung und hoher Produktverfügbarkeit
von Tobias Brasch, Abels & Kemmner GmbH; Peter Schmidt, wolfcraft GmbH*
In dem stark umkämpften Wettbewerbsfeld der Werkzeughersteller sticht wolfcraft als qualitätsbewusster Innovationsträger im stationären Handel, Baumärkten als auch im Online-Handel hervor. Dabei werden insbesondere im Bereich des Online-Geschäfts jährlich überdurchschnittliche Steigerungsraten erzielt, die jedoch von einem sehr volatilen Nachfrageverhalten begleitet werden. Hinzukommend werden in den gängigen sozialen Medien ‚Do it yourself‘ – Videos von Influencern geteilt, in denen wolfcraft Produkte präsentiert werden und zu explosiven Nachfragepeaks führen.
“Durch die Vorstellung unserer Konturenlehre durch einen Influencer auf Youtube explodierte die Nachfrage nach unserem Werkzeug bei Amazon. Dank unseres neuen, mit Hilfe des Digitalen Zwillings zusammen mit Abels & Kemmner erprobtes Planungskonzept, konnten wir die Mengenströme entsprechend umsteuern und die Lieferbereitschaft hochhalten.”
Peter Schmidt, wolfcraft
Die steigende Popularität der wolfcraft Produkte, hohe Verfügbarkeitsversprechen und das stark unterschiedliche Bedarfsverhalten zwischen Online und Offline-Märkten stellen höchste Anforderungen an die Planung als auch an die Bereitstellung der Artikel.
Digitaler Zwilling zur Situationsanalyse von logistischem Geschäftsmodell und Absatzplanung überzeugt
wolfcraft entschied sich für externe Unterstützung durch die Supply Chain Optimierer von Abels & Kemmner, um Verbesserungspotenziale zu heben und den Wachstumskurs abzusichern. Der von den Beratern vorgeschlagene Ansatz einer Situationsanalyse mit dem Konzept Digitaler Zwilling der ERP-Daten überzeugte die Entscheider.
Wesentliches Element der Methodik war die dynamische Simulation des Zusammenspiels von Wertstromverhaltens und Planungs- und Steuerungsmechanismen in der Wertschöpfungskette von wolfcraft auf Basis empirischer Daten. Diese Simulationen wurden begleitet von abteilungsübergreifenden Gesprächen zwischen Einkauf, Vertrieb, Planung, Controlling, Produktmanagement sowie Disposition, um Prozesse von wolfcraft ganzheitlich zu erfassen.
Ausgehend von den Projektworkshops und ersten Simulationsversuchen wurden Optimierungsansätze entwickelt und durch Simulationen im Digitalen Zwilling überprüft und optimiert. Vier zentrale Empfehlungen wurden von den gemeinsamen Projektteam von wolfcraft und Abels & Kemmner entwickelt.
Empfehlung 1: Verbesserte Verfügbarkeit durch separate Planung der Absatzmärkte
Ein wesentlicher Ansatzpunkt für eine bessere Prognosequalität ist die Planungstransparenz – was wird für welchen Markt, in welchen Mengen für welche Zeitspanne geplant.
Mit Hilfe des Digitalen Zwillings wurde ein dreistufiger Absatzplanungsprozess entwickelt und auf Machbarkeit überprüft.
Ausgangspunkt des neuen Planungsprozesses ist die Aufschlüsselung des Nachfrageverhaltens eines Artikels nach Marktsegmenten. Ein beliebiger Artikel kann je nach Vertriebskanal und Kundensegment ein grundverschiedenes Bedarfsverhalten an den Tag legen, was zu unterschiedlichen Prognosen für diese Vertriebskanäle und Kundensegmente führt. Um das unterschiedliche Nachfrageverhalten im Planungsprozess zu berücksichtigen, wurde zuvor im Digitalen Zwilling geprüft, wie weit es Sinn macht, die Artikel pro Kundenkreis aufzuteilen und pro Segment separate Planungsartikel zu generieren, die das jeweilige Bedarfsverhalten transparent aufzeigen und der Planungsabteilung eine bessere Übersicht geben. Um kundenspezifische Trends gut erkennen zu können, wurden verschiedene Planungsmechanismen getestet und optimiert.
Im nächsten Schritt des neuen Planungsprozesses wird für die einzelnen Planungsartikel auf Basis der historischen Verbräuche eine sog. Basisprognose berechnet. Spitzenbedarfe und andere Ausreißer der Vergangenheit werden ausgeschlossen; Softfacts, wie Trends und Saisonfaktoren, werden hinzugefügt. Überprüfungen im Digitalen Zwilling zeigten, dass dies sehr effizient und teilweise automatisiert erfolgen kann.
Im der abschließenden Planungsstufe fließen alle Arten von außerordentlichen Absatzaktionen ein, wie Promotion- und Marketingaktionen und Rabattangebote, die auf bestimmte Artikel ein höheres Kundeninteresse lenken. Auf welcher Kunden- und Produkthierarchieebene geplant werden kann, um den Planungsaufwand für den Vertreib gering zu halten aber ausreichend präzise Daten zu erhalten, wurde wiederum im Digitalen Zwilling überprüft.
Als Resultat dieses Planungsprozesses, ergibt sich ein umfassendes Bedarfsbild in das alle zur Verfügung stehenden Informationen aufgenommen und abgebildet wurden.
Empfehlung 2: Änderung der Bevorratungsstufen
Im Zusammenspiel mit der Planung wurden im Digitalen Zwilling auch die logistischen Entkopplungspunkte in der Wertschöpfungskette überprüft und im Rahmen einer Entkopplungspunktanalyse optimiert. Für die Analyse wurden in werksübergreifenden Simulationen verschiedenste Bevorratungsstrategien betrachtet und in Hinblick auf hohe Verfügbarkeit und niedrige Bestände bewertet. Dabei wurden Bestandssenkungspotentiale von 36% bis zu 46% ermittelt, ohne die geforderte Lieferbereitschaft zu unterschreiten. Die größten simulierten Potentiale konnten mit dem Aufbau eines Supermarkts vor den Montagelinien identifiziert werden. Durch den Einsatz von Meldebestandsverfahren konnte der Dispositionsaufwand deutlich verringert werden.
Empfehlung 3: Automatische Optimierung von Prognosen und Sicherheitsbestände
Ein weiteres Potenzial zur Sicherung der Lieferbereitschaft bei geringen Beständen zeigte sich in der Verbesserung der Prognosen und der korrekteren Berechnung von Sicherheitsabständen. Simulationsversuche im Digitalen Zwilling zeigten, dass die Prognosequalität deutlich verbessert werden kann, wenn für jeden Artikel das zu verwendende Prognoseverfahren und das zugehörige Sicherheitsbestandsverfahren regelmäßig überprüft und ggfs. durch ein geeigneteres ersetzt wird.
Empfehlung 4: Aufbau eines nachhaltigen und automatischen Regelkatalogs für Stammdaten
Ein weiteres Verbesserungspotenzial konnte in der Pflege und laufenden Wartung der planungs- und dispositionsrelevanten Artikelstammdaten identifiziert werden. Im Digitalen Zwilling konnten Kriterien entwickelt werden, unter welchen Randbedingungen eines Artikels welche Stammdateneinstellungen vorgenommen werden müssen.
Digitaler Zwilling zeigt Grenzen des ERP und Chancen bei der Absatzplanung
Die identifizierten Verbesserungsansätze in der bestehenden ERP-Landschaft zu realisieren, wäre mit sehr hohen Aufwendungen einhergegangen, sodass nach einer geeigneten Software-Lösung ergänzend zum ERP-System gesucht wurde. In Zusammenarbeit mit Abels & Kemmner wurde ein Anforderungskatalog für einen Auswahlprozess erstellt, der die Suche nach einem geeigneten Tool maßgeblich unterstützte.
* Peter Schmidt ist zuständig für das Logistikmanagement bei wolfcraft; Tobias Brasch ist SCM-Berater bei der Abels & Kemmner GmbH