Liebe Leserinnen und Leser,
mit raschen Schritten nähert sich das Jahresende, und üblicherweise bin ich nicht derjenige, der in solchen Phasen das Tempo reduziert oder sich eine Auszeit gönnt. In meinem Job bleibt wenig Raum, das Tempo zu verlangsamen oder durchzuatmen. Unabhängig von der aktuellen Auftragslage erlebe ich stets eine kontinuierliche Dynamik, sei es im Volltempo oder in ruhigeren Phasen.
Aber dieses Jahr ist irgendwie anders. Ein Besuch im schönen Wien hat ausgereicht, um mich in diese besondere Stimmung zu versetzen. Vor mehr als zwanzig Jahren führte mich ein Projekt bei einer großen Elektronikfirma in die österreichische Hauptstadt. Damals war ich noch ein relativ junger Berater, und das Projekt hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Nicht nur wegen der enormen Herausforderungen, sondern auch wegen der netten Key User im Projektteam, zu denen ich über all die Jahre Kontakt gehalten habe. Aus diesem Kontakt ist eine echte Freundschaft entstanden, und seit einigen Jahren besuchen wir uns regelmäßig gegenseitig.
So kam es, dass ich am vergangenen Wochenende mit meiner Familie in Wien war, um uns am vorweihnachtlichen Glanz der Hauptstadt Österreichs zu erfreuen. Bei einem Essen in einem kleinen Lokal im 3. Bezirk fiel mir der Spruch “Nua ned hudln” auf, den der freundliche Eigentümer auf seinem schlichten schwarzen Poloshirt trug. Mein Österreichisch reicht gerade so aus, um ein paar Biere und Essen zu bestellen, aber der Spruch war mir fremd. Als ich ihn darauf ansprach, erklärte er mir, dass dies der Leitspruch seines Restaurants sei und so viel bedeute wie “nur keine Hektik aufkommen lassen”.
Was er damit genau meinte, wurde mir klar, als ich ihn bei der Arbeit beobachtete. Er nahm sich für alle Gäste Zeit, spielte kurz mit den Kindern, erklärte die Menükarte in allen Details und dachte gemeinsam mit uns darüber nach, welcher Wein zu unseren ausgewählten Speisen passen würde. Selbst als das Essen serviert wurde, nahm er sich alle Zeit und erklärte uns, was sich Schönes auf dem Teller befand.
Vielleicht denken Sie jetzt: “Das gehört doch zu seinem Job.” Sicher haben Sie recht. Aber seien Sie ehrlich: Wie oft erleben Sie heute noch solch aufmerksamen Service? Wie oft wurden Sie von Mitarbeitern bedient, die wenig Ahnung von dem haben, was sie tun, die sich kaum Zeit für die Gäste nehmen und die nicht in der Lage sind, vernünftige Empfehlungen auszusprechen?
Seit diesem Abend lässt mich dieser schöne, österreichische Spruch nicht mehr los. “Nua ned hudln” klingt irgendwie charmanter als “nur keine Hektik aufkommen lassen”. Er hat etwas Liebliches, vielleicht sogar Niedliches, und er erinnert ein wenig an einen Urlaub in den Bergen. Vielleicht ist es deshalb, dass mir dieser Spruch so im Gedächtnis geblieben ist.
Ich habe mir vorgenommen, in der nächsten Zeit etwas weniger zu “hudln” und mir genauso wie der besagte Wirt mehr Zeit für meine Liebsten und meine Projekte zu nehmen. Das wird vielleicht dazu führen, dass ich mir etwas weniger auflade, aber die Themen, die ich angehe, mit etwas weniger Stress und mehr Liebe zum Detail angehe. In diesen Tagen, kurz vor Weihnachten, erscheint mir das als ein durchaus lohnenswerter Gedanke.
Ich wünsche Ihnen schöne, erholsame und entspannte Tage im Kreise Ihrer Liebsten und lassen Sie sich bitte auch “ned hudln”.
Herzliche Grüße
Ihr Dirk Ungerechts