Wie aus Big Data smarte Daten werden:
Disposition 4.0 für die Fabrik 4.0
Gerrit Sames, Andreas Kemmner
Noch nie haben wir in den Unternehmen so viele Daten erzeugt – und leider so wenig damit getan. Aber wie macht man aus Big Data dann Smart Data? An einem Beispiel soll diese Thema aufgegriffen werden: der Disposition. Mechanismen zur Disposition 4.0 bestehen bereits, sie werden aber erst von wenigen Leistungsführern angewandt. Die wesentliche Herausforderung und damit der entscheidende Schlüssel zur Disposition 4.0 liegt in der intelligenten Auswertung der ungeheuren Datenmengen, die in heutigen ERP-Systemen aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Prozesse vorliegen und laufend anwachsen.
Schauen wir uns die Ausgangssituation an: Mit zunehmender Digitalisierung der Prozesse fallen immer mehr Daten in den Unternehmen an. Das gilt gleichermaßen für Daten aus den Produktionsprozessen wie auch für Daten aus den administrativen Prozessen. Leider ist die systematische Erfassung und Analyse der Daten noch wenig entwickelt, und so werden kaum oder nur wenig Schlussfolgerungen aus den Daten gezogen. Wichtig dabei ist, dass die Datenanalytik sehr genau auf die Fragestellungen passen und daher sehr spezifisch ausgelegt sein muss, wie wir später noch genauer erkennen werden. An geeigneten mathematische Verfahren und Algorithmen, um aus den Datenmengen Informationen herauszufiltern, wird intensiv gearbeitet, und erste in der Praxis anwendbare Lösungen existieren schon.
Die Disposition ist das Herz jedes Unternehmens
Warum die ungeheuren Datenmengen und deren intelligente Auswertung für die Disposition 4.0 so entscheidend sind, lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man sich klar macht, dass die Disposition das Herz eines jeden Unternehmens darstellt, das den gesamten Materialstrom durch die Supply Chain und Wertschöpfungskette pumpt. Deshalb ist die Qualität der Disposition für die Wirtschaftlichkeit einer Wertschöpfungskette von entscheidender Bedeutung. Die Qualität der Disposition hängt von den Dispositionsparametern ab, denn durch sie wird maßgeblich bestimmt, wie sich Bestände, Lieferbereitschaft, Reichweiten, Kapazitätsauslastung und Durchlaufzeiten in Beschaffung, Produktion und Distribution entwickeln und wie wirtschaftlich damit die gesamte Wertschöpfungskette arbeitet.
Viele Firmen erreichen die von ihrem ERP-System erhofften Effekte nicht
In der heutigen Fabrik 3.0 fehlt es bereits an einer effektiven Disposition: Viele Unternehmen müssen feststellen, dass sich trotz Einsatzes von ERP-Systemen die gewünschte Bestandsreduzierung zum Beispiel nicht einstellt. Auch sind geplante Lieferbereitschaftsgrade nicht erreicht worden. Wesentliche Ursachen für das Verfehlen der wirtschaftlichen ERP-Ziele sind in unseren Unternehmen durchaus bekannt: Eine Pflege von Dispoparametern findet häufig nicht oder nur in zu großen Abständen statt. Das liegt zuerst einmal an dem zu großen manuellen Pflege- und damit Zeitaufwand, der für eine Datenpflege erforderlich wäre. Doch selbst in den Unternehmen, in denen Pflegeaufwand betrieben wird, ist die Einstellungsqualität der Dispositionsparameter meist schlecht, denn einerseits werden viel zu wenige Parameter betrachtet, und andererseits werden diese Parameter meist nach wie vor nach bestem Wissen durch den zuständigen Disponenten gesetzt.
Es bedarf keiner großen Visionen, um zu erkennen, dass die Herausforderungen weiter wachsen werden. Die Zeit, die Disponenten/Innen zur Datenpflege zur Verfügung steht, wird zwangsläufig immer geringer werden. Alleine schon aufgrund der demographischen Entwicklung wird das notwendige Personal immer stärker fehlen. Aber wohl noch entscheidender ist, dass das Verständnis der Anwender für die Auswirkung von Dispoparametern sehr eingeschränkt ist und selbst ausgewiesene Experten deren komplexes Zusammenwirken nicht mehr zuverlässig durchdringen können. Letztlich werden in den ERP-Systemen im Allgemeinen keine geeigneten Werkzeuge zur Optimierung der Dispositionsparameter zur Verfügung gestellt.
Konventionelle Pflege von Dispositionsparametern ist zu aufwändig
Stellen Sie sich vor, Sie wären für 1000 Artikel zuständig und wollten sich auf die Pflege der wesentlichsten 10 Dispositionsparameter konzentrieren. Diese wollen Sie viermal im Jahr, also alle drei Monate, einmal ansehen. Es ist sicherlich nicht übertrieben, von einem Zeitaufwand von 60 Sekunden pro Dispositionsparameter auszugehen, denn jede Materialnummer muss aufgerufen werden, die Masken mit den gewünschten Parametern müssen geladen werden, und über die richtige Einstellung muss nachgedacht oder sie muss nachgeschlagen werden. Wenn Sie alles zusammenrechnen, kommen Sie auf einen Pflegeaufwand von 666 Stunden pro Jahr. Das entspricht ca. 40 Prozent Ihrer Jahresarbeitskapazität.
Diesen Effekt kennt jeder Praktiker, doch die meisten Unternehmen tun wenig dagegen: Jeder Anwender gewichtet Sachverhalte anders, verfährt damit anders und hat darüber hinaus nur den Überblick über einen Teil des Geschehens. Zu wirtschaftlich optimierten Dispositionsergebnissen lässt sich nicht per Bauchgefühl kommen, denn das Zusammenspiel der verschiedenen Dispositionseinstellungen ist äußerst komplex. Letztlich geht es um statistische Effekte und statistische Zusammenhänge zwischen Parametereinstellungen und wirtschaftlichen Ergebnissen. Selbst wenn Sie nur von 10 Parametern ausgehen, die für die Performance eines Artikels wichtig sind, wie in unserem Beispiel zum Zeitaufwand für die Datenpflege angenommen, kann niemand mehr das logistische Zusammenwirken dieser Parametereinstellungen beurteilen und damit auch nicht deren betriebswirtschaftliche Auswirkungen. In leistungsfähigen ERP-Systemen lassen sich pro Materialnummer jedoch weit mehr Dispositionsparameter einstellen. Im SAP-System können z.B. bis zu 130 Parameter für jedes Material festgelegt werden; dabei sind Einstellungen zu Vergangenheitswerten, Quotierungen, Lieferplänen und Kontrakten noch gar nicht enthalten. Natürlich benötigt niemand so viele Einstellungen für einen Artikel zur selben Zeit; weit mehr als 10 sind es in der Praxis jedoch allemal. Auf den ersten Blick scheint es schwierig, unter diesen Umständen zu richtig eingestellten Dispositionsparametern zu gelangen.
Big Company Data Analytics eröffnet breite Möglichkeiten für die Disposition 4.0
Mit dem Werkzeug DISKOVER existiert jedoch schon eine erste Fabrik-4.0-Lösung am Markt, die in der Lage ist, die umfangreichen Datenbestände im ERP-System zu nutzen, um damit optimierte Parametereinstellungen zu ermitteln und bestimmte Dispositionsparameter laufend nachzujustieren (vgl. Abb. 1). DISKOVER ist bereits bei bekannten Unternehmen im Einsatz, z.B. der Hansaflex AG, der Trost SE und auch der STO-Gruppe. Bemerkenswert sind die Ergebnisse, die mit dem Einsatz von DISKOVER erreicht werden. So konnte beispielsweise bei einem internationalen Produktionsunternehmen bei Festlegung auf einen Verfügbarkeitsgrad bzw. Lieferbereitschaftsgrad von 95% durch Optimieren der Dispositionsparameter eine Bestandsreduzierung von über 40% erzielt werden.
Kern der Analyse sind dabei Simulationen, mit denen überprüft wird, wie sich eine bestimmte Kombination von Dispositionsparametereinstellungen auf die Wirtschaftlichkeit der Dispositionsergebnisse auswirken. Das System DISKOVER crasht sozusagen die Disposition im Rechner, ehe die Parametereinstellungen in der Praxis umgesetzt werden.
Der Simulationsprozess ersetzt dabei nicht den Fachmann, der die Simulationsergebnisse interpretieren und daraus Schlüsse ziehen kann. Optimierungsprozesse werden jedoch drastisch beschleunigt, Risiken deutlich verringert, und es werden qualitativ weit bessere Ergebnisse erreicht. Die Simulationsergebnisse können einerseits in Dispositionsregelwerken abgebildet werden, andererseits werden besonders dynamische Parametereinstellungen, wie Sicherheitsbestände oder Prognosewerte, durch Simulationsprozesse direkt nachjustiert.
Sehr interessant ist dabei auch, dass sich für jeden einzelnen Artikel und jedes Material direkt überprüfen lässt, ob geforderte Lieferbereitschaftsgrade in der Praxis überhaupt eingehalten werden können und welche Zielbestände ungefähr zu erreichen sein werden. Wie sich ein solcher Simulationsansatz in der Praxis darstellt, soll nachfolgend etwas genauer betrachtet werden. Der grundsätzliche Ablauf der Datenanalysen und Simulationen lässt sich in fünf Schritte unterteilen:
- Aus Zu- und Abgängen von Beständen lassen sich mit geeigneten Verfahren Bestandsverläufe, Lieferbereitschaftsgrade und Reichweiten berechnen.
- Über Simulationen unter Variation von Dispoparametern und Dispositionsstrategien können gezielt Soll-Reichweiten resp. Lieferbereitschaftsgrade bestimmt werden.
- Mit welchen Einstellungen, unter welchen Randbedingungen, optimierte Bestandshöhen, Reichweiten resp. Lieferbereitschaftsgrade erreicht werden, wird in Entscheidungstabellen und Regelwerken abgebildet.
- Die regelbasierten Einstellparameter werden in das ERP-System zurückgespielt; die manuelle Pflege von Dispoparametern kann somit entfallen.
- Die Optimierung und das Rückspielen der Ergebnisse ins ERP-System erfolgt täglich automatisch oder zu wählbaren Zeiten.
Um die Auswirkungen alternativer Dispositionseinstellungen für unterschiedliche Artikelgruppen zu simulieren, werden im System DISKOVER zu testende Dispositionsparameterein-
stellungen oder ganze Regelwerke in Szenarien übernommen und in den Simulationsprozess gegeben. Die Ergebnisse lassen sich direkt in DISKOVER als Gesamtergebnis über alle Artikel sowie für jeden einzelnen Artikel ansehen, um daraus ggf. Hinweise für Optimierungsansätze zu erhalten. Auf diese Weise lassen sich unterschiedliche Handlungsalternativen durchspielen und miteinander vergleichen.
Als Ergebnis der Datenanalysen gewinnt man nicht nur Informationen zu den richtigen Parametereinstellungen im ERP-System, sondern auch strategische Erkenntnisse und Organisationsregeln, mit denen wir uns an dieser Stelle aber nicht weiter beschäftigen wollen, obwohl sie für die Unternehmensstrategie von großer Bedeutung sein können. Von direkter Bedeutung für die Disposition 4.0 ist, wie man mit den technischen Erkenntnissen hinsichtlich der Dispositionsregelwerke umgehen muss, um sie in der Praxis effektiv und effizient anwenden zu können.
Eine zentrale Aufgabe von Dispo-4.0-Systemen: das ERP Performance Management
Zur konsequenten Umsetzung der Disposition 4.0 ist vielmehr ein strategisch ausgerichtetes Werkzeug erforderlich, das dem ERP-System die jeweils aktuellen Dispositionsparametereinstellungen vorgibt und auf diese Weise die Logistik Performance optimiert – man könnte es ein »ERP Performance Management System« nennen (vgl. Abb. 2). Ein solches ERP-Performance Management System regelt die Parametereinstellungen im ERP-System nach. Es muss dazu
- ein breites Spektrum an Grunddaten aus dem ERP-System übernehmen;
- zahlreiche Artikelklassifizierungen und Kennzahlenermittlungen vornehmen;
- Regelwerke und Entscheidungstabellen abbilden;
- über umfangreiche Simulationsfunktionen verfügen;
- die Einstellungsvorgaben an das ERP-System zurückgeben.
Fazit
Industrie 4.0 wird in unsere Unternehmen einziehen. Ein wichtiger Baustein davon werden Big Data und Big Data Analytics werden. Um aus Big Data dann Smart Data zu machen, sind sehr spezifische Algorithmen notwendig. Für die Disposition 4.0 stehen diese zum Beispiel mit DISKOVER zur Verfügung und sind bereits in vielen Unternehmen im Einsatz.