Kennen Sie den Begriff des Sortimentszwangs? Unter Sortimentszwang versteht man die Situation, einem Kunden neben gutlaufenden und lukrativen Artikeln auch schlechtlaufende Artikel mit meist geringer Marge anbieten zu müssen, denn – so das zugrundeliegende Axiom – der Kunde will alle Teile eines bestimmten Produktsortiments aus einer Hand, bekommt er von Ihnen die Penner nicht zu einem attraktiven Preis, kauft er Ihnen auch nicht die Renner ab. Der Sortimentszwang bedingt häufig, dass ein (hoffentlich kleiner) Teil des Produktportfolios rot angeboten und von den Rennerartikeln quersubventioniert werden muss.
Für den Vertrieb jedoch stellt der Sortimentszwang einen gewaltigen Zauber dar, denn er legitimiert jede Variantenvielfalt und jeden Exoten im Produktportfolio, mit denen man vielleicht noch einen versprengten Kunden ergattern kann. Sortimentszwang ist deshalb auch das erste Wort, das ein Vertriebler sagt, wenn man ihn nachts weckt.
Vordergründig ist der Sortimentszwang in Kunden-Lieferantenverhältnis oft präsent: Mit dem Argument, vom Lieferanten nur dann dessen lukrative Artikel einzukaufen, wenn er auch die wenig attraktiven Artikel liefert, argumentiert der Einkauf der Kunden gerne, schließlich ist er bestrebt, seine wenig attraktiven Einkaufartikel auch möglichst günstig zu erhalten. Aus dem Blickpunkt des Einkaufs macht die zusammengefasste Beschaffung eines Produktsortiments aus einer Hand aber auch Sinn, um die Komplexität des Beschaffungsprozesses gering zu halten. Und aus der Perspektive des Lieferanten hat der Sortimentszwang dann sein Gutes, wenn er eine gewisse Kundentreue bewirkt.
Ist ein Lieferant nicht vorsichtig, dann bläht der Wind des Sortimentszwangs die Variantenvielfalt immer weiter auf. Auf die Probleme für die Ertragssituation eines Lieferanten, die sich aus einem zu breiten Produktportfolio ergeben, habe ich ausführlich bereits vor sechs Jahren hingewiesen. Inzwischen stellen wir in Produktportfolioanalysen aber auch immer häufiger fest, dass es mit der erhofften Kundentreue nicht allzu weit her ist. Wenn die Konkurrenz bei den Rennern ein günstigeres Angebot macht, scheinen immer mehr Kunden schnell zu wechseln und den Vertrieb des Lieferanten auf seinen roten Pennern sitzen zu lassen.
Dahinter steckt durchaus System: Mit wachsendem Automatisierungs- und Rationalisierungsstand der Beschaffungsprozesse ist es immer weniger erforderlich, die Zahl der Lieferanten für ein bestimmtes Produktsortiment wegen der Prozesskosten gering zu halten.
Das wäre kein Problem, denn das Kompensationsprinzip „Ich kaufe bei Dir die Renner, dafür lieferst Du mir auch die Penner“ hätte immer noch Bestand. Fatalerweise überwachen viele Lieferanten diese Kompensationskriterien nicht und merken entweder gar nicht, dass die Renner nicht mehr und zunehmend weniger bestellt werden oder sie hoffen darauf, mit Kulanz den Kunden zurückzuholen.
Sortimentszwang ist gefährlich und sollte vom Vertrieb nicht einfach postuliert werden können. Kompensationsgeschäfte zwischen Rennern und Pennern müssen im Kunden-Lieferantenverhältnis klar definiert und im ERP-System dokumentiert werden. So kann ein Lieferant sofort reagieren, wenn der Kunde sich nicht mehr an die Bedingungen hält.
Festzuhalten bleibt: Je stärker die Tendenz der Kunden mit ihren Rennern sehr preissensibel und wechselfreudig zu sein, desto geringer die Berechtigung, aus Gründen eines postulierten Sortimentszwangs Penner unter Preis abzugeben oder überhaupt noch im Portfolio zu halten.