Mit Regelwerk und Controlling zum nachhaltigen Optimum
Von Steffen Schwippl (Serag-Wiessner) und Dr. Bernd Reineke
Dass die industriellen Planungs- und Beschaffungsprozesse ein hochkomplexes ineinander verzahntes Gebilde von verschiedensten Vorgängen sind, ist sicher nichts Neues. Aber durch immer intelligentere und höher entwickelte Lösungen gelingt es immer besser, den Balanceakt zwischen den gegenläufigen Zielgrößen wie Lieferbereitschaft, Bestände und Aufwand zu beherrschen. So gilt es auch bei Serag-Wiessner, dem mittelständischen Hersteller von Medizin- und Pharmaprodukten, die Vielzahl der Parameter so einzustellen, dass der Balanceakt gelingt.
Produktbeispiel Serag-Wiessner produziert und liefert vom Standort Naila aus mit ca. 200 Mitarbeitern chirurgisches Nahtmaterial, textile Implantate für den Beckenboden und Infusionslösungen. Von den ca. 3.000 Artikeln im Geschäftsbereich chirurgisches Nahtmaterial und textile Implantate, die sich durch unterschiedliche Fadensorten, Fadenstärken, Längen und Nadel-Faden-Kombinationen unterscheiden, sind ca. 1.500 Artikel ab Versandlager zu bevorraten. Die etwa 25.000 Kunden, zu denen Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und auch Großhändler im In- und Ausland zählen, erwarten eine Lieferzeit von 24 bis 48 Stunden. Zur Erfüllung dieser Anforderungen werden Bestände im Fertigwarenlager vorgehalten, die bisher auf Basis von ERP Bestellvorschlägen von den Planern und Disponenten dimensioniert wurden. Versuche, die Bestände aus eigener Kraft signifikant zu senken, führten in der Vergangenheit nicht zum gewünschten Erfolg. Daher entschied sich das Management, die Supply Chain Spezialisten von Abels & Kemmner mit dieser Aufgabe zu betrauen. Als wichtigste Anforderung galt dabei, eine Lösung mit Nachhaltigkeit zu entwickeln und umzusetzen. Neben einer 100% passenden Konzeption lag das Augenmerk deshalb auch auf der Umsetzung der Lösung. Die Forderung, eine beständige Lösung zu generieren, warf von Beginn an die Frage auf, wie beziehungsweise ob das bestehende ERP-System diese Lösung unterstützen kann. Dabei waren die Restriktionen in Produktion und Logistik zu berücksichtigen und in die Bestimmung der Dispositions- und Planungsparameter einzubeziehen. Neben den absatzorientierten Zielgrößen – Lieferzeiten von 24 bis 48 Stunden sowie durchschnittliche Ziellieferbereitschaft von 96% – galt es bei den Planungsparametern deshalb auch darauf zu achten, dass die Fertigungsaufträge und die damit verbundenen Rüstvorgänge auf 1.200 pro Monat limitiert sein sollten.
Die Projektziele wurden mit Hilfe von Simulationen im Voraus bestimmt. In der Umsetzung zeigte sich, dass sich der Erfolg erst einstellte, nachdem ein zugeschnittenes Bestandscontrollings mit wenigen aber aussagekräftigen Kennzahlen eingeführt wurde.
Zu Beginn des Projektes stand die Bestandsaufnahme mit der Erhebung der Ist-Prozesse sowie der logistischen Kenngrößen wie Reichweite, Lieferbereitschaft und Lagerumschlag. Ein wichtiger Aspekt in dieser Phase war auch die Analyse des ERP-Systems, das bei Serag-Wiessner eingesetzt wird. Das auf Basis einer AS400-Plattform laufende System der Firma SoftM verfügt zwar über Grundfunktionen in Disposition und Prognostik, aber es wurde bereits zu Beginn des Projektes deutlich, dass ohne Erweiterung dieses Systems die Projektziele kaum zu erreichen waren. Daher entschied sich das Management, die fehlende Funktionalität über das Optimierungstool DISKOVER SCO zuzukaufen. Diese Software der Firma SCT GmbH zeichnet sich insbesondere durch starke Funktionalitäten in folgenden Bereichen aus:
- Optimierung durch Simulation
- Zahlreiche Prognose- und Sicherheitsverfahren (insb. verteilungsfreie Verfahren)
- Optimierung der Dispositionsparameter
- Integriertes Bestandscontrolling
Da die Entscheidung für DISKOVER SCO bereits in der frühen Projektphase getroffen wurde, konnten die Möglichkeiten des Systems bereits in die Konzeption einfließen, was für das Projektteam einen deutlich größeren Gestaltungsspielraum bedeutete.
Im Rahmen des Dispositionsparameter-Optimierungsprojekts wurden die folgenden nachhaltigen Ziele erreicht:
- Der Lagerumschlag erhöhte sich von 6 auf knapp 9. Damit wurde eine durchschnittliche Lagerdauer von rund 6 Wochen erreicht.
- Der Lagerbestand wurde zudem auf 65% reduziert. Dies nicht zu Lasten der Lieferbereitschaft. Es konnte vielmehr die Lieferbereitschaft sogar auf 96% verbessert und kontinuierlich gehalten werden.
In der Lösungsfindung wurden zunächst über differenzierte Simulationen die Einflüsse von Lieferbereitschaft, Beständen und des Rüstaufwandes ermittelt. Dabei wurde schnell deutlich, dass die Projektziele nur mit differenzierten Lösungsansätzen erreicht werden konnten. Dies bedeutet, dass z.B. für verschiedene Produktgruppen unterschiedliche Ziellieferbereitschaftsgrade definiert wurden, oder für geringwertige C-Artikel höhere Reichweiten für die Losgrößen gewählt wurden als für die umsatzstarken A-Artikel. Letztlich wurde im Rahmen der Konzeption ein Regelwerk in Form einer Entscheidungstabelle geschaffen, das den Kriterien der ABC- und XYZ-Kennzeichen sowie der Lagerhaltigkeit und den Marktanforderung der verschiedenen Produktgruppen Rechnung trug. Dieses Regelwerk wurde im DISKOVER SCO abgebildet und lässt sich flexibel an die sich ändernden Anforderungen anpassen.
Im Rahmen der Simulationen konnten im Voraus die erreichbaren Zielgrößen Lieferbereitschaft, Bestand und Rüstaufwand bestimmt werden. Allerdings stellten sich die Ergebnisse zu Beginn der Umsetzungsphase noch nicht ein. Der Durchbruch zur nachhaltigen Bestandsreduktion kam erst, als das tägliche Bestandscontrolling implementiert wurde. Dabei werden nach jedem Tag Bestände, Umsätze, Lagerumschlag und Lieferbereitschaft berichtet und den aktuell simulierten Zielgrößen gegenübergestellt. Bei der Lieferbereitschaft wird sogar über verschiedene Zeiträume (7 Tage bzw. 30 Tage) differenziert, um die kurzfristige Entwicklung der Lieferfähigkeit besser beurteilen zu können. Per E-mail gelangt dieser Report täglich auf die Bildschirme der Disponenten und des Managements. So können die Verantwortlichen bei starken Abweichungen kurzfristig reagieren und ggf. gegensteuernde Maßnahmen ergreifen.
In der folgenden Abbildung ist ein Beispielreport dargestellt:
Die Bestandsentwicklung zeigt, dass mit dem DISKOVER-Bestandscontrolling die Ergebnisse nachhaltig verbessert werden konnten.