Optimierungsprojekt korrigiert Schwachstelle IT
Götz-Andreas Kemmner und Bernd Reineke
Hohe Lieferbereitschaft wird oft durch hohe Bestände erkauft. Das muss nicht sein. Bei einem Technischer Händler wurden die Bestände bei Pilotartikeln um 50% gesenkt. Der Lagerumschlag insgesamt wurde innerhalb kurzer Zeit von 5,6 auf den Wert 7,5 gesteigert, was entsprechende Liquidität freisetzt. Dies alles ohne Einbußen bei einer Lieferbereitschaft von 98,5 % und ohne Zusatzkosten beim Personal in der Disposition. Möglich wurde dies durch Verwenden eines Optimierungs- und Dispositionstools für das Warenwirtschaftssystem.
Neben einem umfassenden Produktportfolio und exzellenter Beratung lebt der Technische Handel von einer perfekten Logistik. Diese zeichnet sich durch sehr hohe Lieferbereitschaft aus und stellt höchste Anforderungen an Mitarbeiter, Organisation und Systeme. Zur Optimierung der Beschaffungsprozesse sind Lagerumschläge mit Werten von 9 pro Jahr anzustreben. Oft jedoch liegt dieser Wert deutlich darunter. Wird beispielsweise ein Lagerumschlag von unter 6 gemessen, dann bedeutet das, dass das Material über zwei Monate tot im Lager liegt und Kapital bindet. Um dieses frei setzen zu können, sind umfangreiche Analysen erforderlich, um tausende Artikel optimal disponieren zu können.
In einem konkreten Projekt im Technischen Handel wurden die meisten Artikel beispielsweise mit hohen Mindestbestellmengen beschafft. Einige darüber hinaus in kleinen verkaufsoptimierten Verpackungseinheiten. Diese Varianten jeweils bei einem anderen Lieferanten. Von insgesamt 8.000 Artikeln sind ca. 80% lagerhaltig und werden aus dem Bestand verkauft. Die anderen Artikel werden auftragsbezogen beschafft und in der Regel per Direktlieferung vom Lieferanten zum Kunden geliefert.
Problemfall IT
Es zeigte sich schnell, dass das Ziel hoher Lagerumschlagswerte nur mit entsprechender Veränderung der softwaregestützten Disposition möglich wurde. Die vorrätigen Artikel wurden zwar von den Einkäufern ein- bis zweimal wöchentlich disponiert und bestellt, das IT-System unterstützte die Disponenten dabei jedoch nur rudimentär: Es wurden immerhin Dispo-Listen mit allen relevanten Informationen ausgegeben, die Einkäufer mussten diese jedoch alle sichten und bei Bedarf die Bestellungen manuell anlegen. Für gut planbare Artikel wurde das bestehende System darüber hinaus zwar auch um eine Automatikfunktion mit Meldebestandsverfahren und Sollreichweiten erweitert, diese berücksichtigen allerdings keine individuellen Verbrauchsverhalten der Artikel und können somit nur pauschal eingestellt werden. Insofern bestand eindeutig Handlungsbedarf.
Um den Lagerumschlag unter Gewährleistung hoher Lieferbereitschaft erhöhen zu können, waren eine Reihe von Analysen und Simulationen des logistischen Verhaltens der Beschaffungs- und Distributionskette erforderlich (Bild 2):
- ABC- und XYZ-Analyse zur Strukturierung des Artikelspektrums
- Trend- und Saisonanalyse
- Definition der Bevorratungsstrategien und Soll-Lieferbereitschaftsgrade
- Simulation verschiedener logistischer Szenarien mit unterschiedlichen logistischen Parametern
Die Analysen wurden begleitet von optimierenden Maßnahmen zur Reduzierung logistischer Kenngrößen wie Wiederbeschaffungszeit, Mindesteinkaufsmengen und Losgrößen, die der Einkauf mit den Lieferanten neu verhandeln konnte.
Die Auswertung der Bestände im Rahmen der ABC/XYZ-Analyse zeigt deutlich, dass die Einkäufer es sehr gut verstanden, Bestände im Bereich AB-XY zu halten, um bei diesen Artikeln eine hohe Lieferbereitschaft zu erzielen, und gleichzeitig durch die regelmäßigen Verbrauche kein hohes Risiko einzugehen und Bestände in den schwierig zu planenden Bereichen Z und Z2 zu vermeiden (Bild 3).
Die weiteren Analysen ergaben, dass nur ein unbedeutender Anteil der Artikel (<1%) einen Trendcharakter aufwies, aber immerhin 5% der Artikel Saisonverhalten (siehe Beispiel in Bild 1) zeigten, welches den Einkäufern zwar bekannt war, aber bisher für eine automatisierte Disposition nicht in Frage kam.
Für die Simulations- und Optimierungsläufe ist die Definition der Bevorratungsstrategien erforderlich, die angibt, welche Artikel bevorratet werden sollen und welche Lieferbereitschaftsgrade angestrebt werden. Da bereits im Vorfeld die auftragsbezogenen Artikel aus den Analysen ausgeklammert wurden, müssen alle verbleibenden 80% der Artikel im Lager vorrätig sein. Anhand der ABC/XYZ Matrix setzte das Projektteam die Solllieferbereitschaftsgrade fest mit dem Ziel, den sehr hohen geforderten Wert von 98,5 % zu halten (Tab. 1).
Bei der Definition der Simulationsszenarien spielte die Möglichkeit, bei verschiedenen Lieferanten mit unterschiedlichen Optionen einzukaufen, eine wesentliche Rolle. Besonders interessant war dabei die Frage, wie sich der Preisvorteil der preisoptimalen Szenarien mit großen Chargen gegenüber den kürzeren Lieferzeiten und geringeren Mindestbestellmengen (umschlagsoptimale Szenarien) auswirken würde. In en Simulationsläufen konnte dies durch die unterschiedlichen logistischen Parameter wie Lieferzeit, Wareneingangsbearbeitungszeit und Mindestbestellmengen sowie den unterschiedlichen Einkaufpreisen berücksichtigt werden. Die Simulationsszenarien sind in Tab. 2 dargestellt.
Kleinere Eindeckzeiträume, geringere Bestände, mehr Bestellpositionen
Zur Beurteilung der Simulationsergebnisse wurden neben der Bestandshöhe und dem Lieferbereitschaftsgrad das Bestellvolumen und die Anzahl der Bestellpositionen über einen Vergleichszeitraum herangezogen. Denn gerade durch die Senkung der Mindestbestellmengen und der Eindeckzeiträume ergeben sich zwangsweise mehr Bestellpositionen und damit natürlich auch mehr Wareneingangsvorgänge. Die Ergebnisse zeigt der untere Bereich in Tab. 1 im Überblick.
Beim Vergleich der preisoptimalen mit den umschlagsoptimalen Szenarien war schnell klar, dass das 13 bis 28% höhere Bestellvolumen gegenüber dem Istzustand die Kosteneinsparung durch die Bestandssenkung um ein Mehrfaches überstieg und damit nicht akzeptabel war. Ebenso würde sich bei den umschlagsoptimalen Szenarien die Anzahl der Bestellpositionen mehr als verdreifachen und somit den Aufwand in Einkauf und Wareneingang erheblich erhöhen. Daher wurden im Folgenden nur noch die preisoptimalen Szenarien betrachtet.
Zusammenfassend ist zu beobachten, dass kleinere Eindeckzeiträume zu geringeren Beständen führen, aber die Zahl der Bestellpositionen nach oben treiben. Der Ausreißfaktor, der es ermöglicht, Bedarfsspitzen in den Vergangenheitsdaten zu glätten, wirkt sich ebenfalls durch geringer ausfallende Prognosewerte bestandssenkend aus. Insgesamt wurde das preisoptimale Szenario V ausgewählt, bei dem der Zielbestandswert 40% unter dem Istbestandswert beträgt und damit ein Lagerumschlag von 9,35 pro Jahr erreicht wird. Das von der Unternehmensleitung geforderte Ziel von 9 Umschlägen pro Jahr wäre damit erreicht.
Während der Projektarbeit zeigte sich, dass das im Unternehmen eingesetzte Warenwirtschaftssystem nicht in der Lage war, die neu gestaltete Supply Chain hinsichtlich Absatzprognostik und Bestellwesen ausreichend zu unterstützen. Aus diesem Grunde entschied man sich, für diese Aufgabenstellungen das Software Add-on tool „Diskover” einzusetzen. Mit Hilfe dieser Automatisierungsmöglichkeit ist der Einkauf nun in der Lage, die um fast 250% gegenüber früher angestiegene Zahl an Bestellpositionen bei unverändertem Personaleinsatz abzuarbeiten. Geht man davon aus, dass alle gut prognostizierbaren X- und Y-Artikel zukünftig automatisiert, d.h. ohne Eingreifen des Einkäufers bestellt werden können, lässt sich insgesamt der Aufwand für das Erstellen der Bestellungen unter das bisherige Maß reduzieren. Allerdings bleibt ein erhöhter Aufwand im Wareneingang, der aber im errechneten Umfang von der Logistik noch zu bewältigen ist.
Deutlicher Bestandsabbau in kurzer Zeit
Bereits nach kurzer Zeit wirkten sich die Projektergebnisse positiv aus. Deutlicher als bei den konventionell beschafften Artikeln, die durch Reduzierung der Mindestbestellmengen und Lieferzeiten ebenfalls sanken, fallen die Ergebnisse bei den mit dem Dispositionstool eingekauften Pilotartikeln aus: über 50% Bestandsabbau nach fünf Monaten (Bild 4).