Abels & Kemmner/Hansgrohe

Ulrich Jaeckle, Leiter Einkauf/Logistik der Hansgrohe AG und Dr. Bernd Reineke

Angesichts der Preisentwick­lung auf den internationalen Rohstoffmärkten, fallen Einspar­potenziale bei der Bevorra­tung von Rohmaterialien immer stärker ins Gewicht. Hansgrohe optimiert derzeit seine Supply Chain Prozesse: „Logistik ist eines unserer Kernthemen der nächsten Jah­re. Das Projekt Logistics 2010 hat für Hansgrohe eine außer­ordentlich strategische Bedeu­tung!”, so Siegfried Gänßlen, Finanzvorstand bei Hansgro­he. Dabei steht die Optimie­rung der gesamten Wertschöp­fungskette im Vordergrund.

Zusammen mit der Leonardo Group erhielt Abels & Kemmner den Auftrag, die Produktion und Beschaffung zu optimieren und konsequent nach den Marktbe­dürfnissen auszurichten. Erste Ergebnisse liegen jetzt vor: Durch die konsequente Umsetzung des Pull-Systems wird ab sofort kei­ne Bestellung mehr ohne Nach­fragebedarf ausgelöst, was Bestandssicherheit schafft. Das Bestandreduzierungspotenzial bei den Rohmaterialien ist darüber hinaus mit über 30% enorm liqui­ditätssteigernd. Die Zielsetzung des Projektes war von Anfang an klar umrissen: mit kurzen Reakti­onszeiten will man auf die sich verschärfenden Anforderungen im Markt flexibel reagieren.

Dabei sollen die Bestände so gering wie möglich gehalten wer­den, ohne dass der Lieferservice darunter leidet oder die Prozess­kosten steigen. Die konsequente Ausrichtung auf das Marktgesche­hen heißt im Klartext, dass nach­gefragte Produkte kurzfristig ver­fügbar sein müssen und dass ohne Nachfrage keine Beschaffung oder Wertschöpfung erfolgen darf Dies bedingt fein abgestimmte Prozess­schritte innerhalb des Unterneh­mens und übergreifend bis hin zu den Lieferanten.

In nur 10 Wochen konnte Hansgrohe die Bestände der Pilotartikel um 50% senken. Voraussetzung hierfür war eine detailierte Analyse der Bestände und Simulation der Beschaffungskette zur Optimierung der logistische Parameter
In nur 10 Wochen konnte Hansgrohe die Bestände der Pilotartikel um 50% senken. Voraussetzung hierfür war eine detailierte Analyse der Bestände und Simulation der Beschaffungskette zur Optimierung der logistische Parameter

Parallele Prozesse 

In mehreren Teams wurden die anstehenden Aufgaben parallel angegangen: das Prozessteam war verantwortlich für die Gestaltung der prozessorientierten Produkti­onslinien. Das Produktteam soll­te den unternehmensinternen Materialfluss auf Verbrauchssteue­rung umstellen. Das Beschaf­fungsteam hatte die Aufgabe die Beschaffungsdisposition zu opti­mieren und die Lieferanten in den Beschaffungsprozess zu integrie­ren (siehe Grafik 1).

Mit dem Ziel, kurzfristig positi­ve Effekte zu erreichen, entschied man sich im Bereich Beschaf­fungslogistik für ein zweistufi­ges Vorgehen. Zunächst sollte die Beschaffungsdisposition analy­siert und umgestellt werden, im zweiten Schritt galt es dann, die Lieferanten in den Beschaffungs­prozess zu integrieren. Bei der Vorgehensweise wendeten die Akteure die vielfach bewährten Methoden und Verfahren von Abels &Kemmner an. Eine kur­ze Bestandsaufnahme der aktu­ellen Beschaffungsprozesse und bestehende Lieferantenbeziehun­gen zeigte, dass Hansgrohe bereits auf hohem Niveau agier­te. Die Beschaffungsvorgänge wurden durchgehend vom SAP-System abgebildet und unter­stützt. Mit vielen Lieferanten bestanden bereits Rahmenverträ­ge (Mengenkontrakte) mit Lie­ferabrufen. Auch dies war bereits fester Bestandteil der SAP-Pro­zesse. Als sehr leistungsfähig zeigte sich das eigenentwickelte Lieferanteninfo-Tool „Lextra”. Hierbei handelt es sich um eine Internetplattform, auf der sich die Lieferanten alle nötigen und ergänzenden Informationen abru­fen können. Zu den Informatio­nen gehören unter anderem die langfristige Bedarfsplanung der Materialien, Rahmenverträge und Lieferabrufe. Ohne Papier und ohne Faxe erhalten die Lieferan­ten auf diesem Wege also ihre Aufträge. Die Daten können natürlich auch elektronisch abge­griffen werden und in das Waren­wirtschaftssystem der Lieferan­ten übernommen werden.

Hansgrohe_ABC-XYZBedarf und Bestand

(Siehe Grafik 2). Die Ergebnisse der ABC/XYZ-Analyse zeigen ein klassisches Bild: Während es gelingt, im AB/XY Bereich die Bestände im Verhältnis zum Umsatz gering zu halten, ist der Bestand bei den sporadisch benö­tigten Artikeln (Z2-Artikel) sowie bei den geringwertigen C-Arti­keln zu hoch, was sich durch einen geringen Wert des Lager­umschlags ausdrückt. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden im nächsten Schritt die Parame­ter für die Simulationsläufe in „Diskover” festgelegt. Bei den hochwertigen A- und B-Artikel sollte nach Möglichkeit ein hoher Lagerumschlag erzielt werden. Dazu wurde ein Eindeckzeitraum von fünf Arbeitstagen gewählt, d.h. dass bei der Bestellmengen­rechnung die Bedarfe von fünf Arbeitstagen zusammengefasst werden. Bei den geringwertigen C-Artikeln wurde ein Eindeck­zeitraum von 20 Arbeitstagen gewählt, was sich nur gering auf die Bestände auswirkt aber sowohl im Einkauf als auch in der Logistik den administrativen und physischen Aufwand in Grenzen halten sollte. Die sporadisch ver­brauchten Z2-Artikel wurden bei der Simulation ebenfalls berück­sichtigt, allerdings sollten diese Artikel wegen des höheren Bestandsrisikos zukünftig auf­tragsbezogen beschafft werden.

Weitergehende Simulation 

SimulationsergebnisseAlle Artikel wurden mit drei ver­schiedenen Lieferbereitschaftsgra­den simuliert, um zum einen die erzielbaren Lieferbereitschaftsgra­de beurteilen zu können und zum anderen die Auswirkungen des Lieferbereitschaftsgrades auf die Bestände zu ermitteln. Die Simu­lationen wurden sowohl mit den in „Diskover” verfügbaren Progno­severfahren durchgeführt, als auch eingeschränkt nur mit den in SAP verfügbaren Verfahren, was einen Ausschluss der verteilungsfreien Verfahren bedeutete. Die Ergeb­nisse der verschiedenen Simulati­onsläufe ergaben Bestandsredu­zierungspotenziale von bis zu 47%. Dabei betrugen die Lieferbereit­schaftsgrade der zukünftig lager­haltigen Artikel zwischen 91 % und knapp 96%. Dabei wurden die hohen Lieferbereitschaftsgrade mit den verteilungsfreien Verfahren in Diskover erreicht, aber auch die SAP-Verfahren kamen zu zufrie­den stellenden Ergebnissen. Als zu favorisierende Variante entschied man sich daher für die SAP-Ver­fahren mit einem Solllieferbereit­schaftsgrad von 95%, was immer noch eine Bestandsreduzierung um ca. 34% bedeutete.

Im Anschluss an die Analysen und Simulationen begann die Umset­zung. Dazu wurden die Dispositi­onsverfahren für ausgewählte lagerhaltige Artikel im SAP-Sys­tem auf prognosegestützte Bestell­punktverfahren umgestellt und die erforderlichen Planungsparame­ter, wie sie von „Diskover” kalku­liert wurden, eingegeben. Durch die Umstellung deckt sich Hans­grohe nicht mehr so hoch mit Material ein und die Zahl der Lie­ferabrufe nimmt gegenüber der Vergangenheit zu. Um die betref­fenden Lieferanten auf diese Änderungen vorzubereiten, wur­den sie zu einem Informations­workshop einge­laden, bei dem die Vorgehens­weise im Projekt Logistics2010 näher erläutert und die Auswir­kungen auf das zukünftige Abrufverhalten dargestellt wur­den. Jeder Liefe­rant erhielt eine Aufstellung sei­ner Artikel mit Angabe der geän­derten Einstellungen. Weiterhin wurden die Lieferanten nochmals auf die in den Rahmenverträgen vereinbarten Lieferfristen und Lie­ferflexibilitäten hingewiesen, da diese Einstellungen gerade durch die zukünftig geringere Vorratsde­cke für Hansgrohe weiter an Bedeutung gewinnt und für eine erfolgreiche Umsetzung unabding­bar ist. Die Reaktion der Lieferan­ten war durchweg positiv. Die Ein­bindung der Lieferanten in die Pro­jektarbeit bei Hansgrohe bietet die Möglichkeit, Einfluss auf die zukünftigen Prozesse zu nehmen, und gibt das deutliche Signal zur langfristigen Zusammenarbeit. Zum Abschluss des Lieferanten­termins stellte Abels & Kemmner einen Ausblick auf zukünftige unternehmensübergreifende Mate­rialflusskonzepte vor, die unter anderem eine Anbindung über Kanban beinhaltet. Näheres über diese Form der Lieferanteninte­gration erfahren Sie in einer der nächsten Potenziale-Ausgaben.

Erfolg

Der Erfolg der Umstellungen zeigte sich innerhalb kurzer Zeit. Binnen 10 Wochen ging der Bestand der Pilotartikel bereits um über 50% zurück und man hat schon fast die simulierten Ziel­bestände erreicht. Der Gesamt­bestand reduzierte sich nach wei­teren Umstellungen innerhalb kurzer Zeit um über 15%. Mit diesen positiven Ergebnissen geht es nun weiter mit der material­flusstechnischen Lieferantenin­tegration, die zum einen das Ziel hat die Bestände weiter zu opti­mieren und den administrativen Aufwand in Logistik und Einkauf erheblich zu verschlanken.


Die Leonardo group wurde 1998 gegründet und hat ihren inter­nationalen Sitz im Zentrum Europas, Zug, Schweiz. Projekt Büros befinden sich in Deutschland und Frankreich. In den USA ist Leo­nardo group durch Partner repräsentiert. Sie sieht sich als Kata­lysator zwischen Wissenschaft, Technologie und der „Realität” in der Fertigung und Supply Chain Management. Durch intensi­ve Kontakte zu führenden Institutionen in Europa und USA ist man in der Lage, neue Entwicklungen in praktische Lösungen für die Industrie umzusetzen. Dies wird verdeutlicht durch innovati­ve Ansätze für Training und Software. Alle Berater haben mehr­jährige Erfahrung aus der Industrie. Abels & Kemmner koope­riert mit der Leonardo group bei übergreifenden Themen im Bereich Supply Chain Management, wobei Leonardo die produk­tionsnahen Themen zum Schwerpunkt hat. Mit Know-how und ausgefeilten Tools setzt Leonardo die Kanban/Pull-Philosophie durch konsequentes Anpassen der Produktionsprozesse und Pro­duktionslinien unter Berücksichtigung des jeweiligen Produkt­mix um.
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Dr. Bernd Reineke