Lieferantenmanagement bei Montblanc
Im Rahmen eines Supplier-Relationship-Managements-Projektes hat das Unternehmen Montblanc seine Lieferantenentwicklung auf eine systematische Basis gestellt. Es handelt sich dabei um eine grundlegende Weiterentwicklung des von Abels & Kemmner entwickelten Lieferantenbewertungssystems und des von Raymond Eugene Goodson an der University of Michigan über mehrere Jahre entwickelten Rapid Plant Assessments, das nun als RPA-II bezeichnet wird.
Seien es Edelsteine aus Idar-Oberstein oder Südafrika, Schmuckteile aus Pforzheim, polierte Lackteile aus Frankreich, Leder aus Italien oder Feindrehteile aus Deutschland und anderen Ländern der europäischen Union. Ein internationales Unternehmen wie Montblanc benötigt viele unterschiedliche Zulieferer, um ein breites Spektrum an hochwertigen Schreibgeräten, Lederartikeln und Schmuck fertigen und liefern zu können.
Die Leistungsfähigkeit von Montblanc hängt deshalb nicht alleine von der Effizienz der Fertigungsstätten in Hamburg, Offenbach und Le Locle / Schweiz ab, sondern auch von der Leistungsfähigkeit seiner Zulieferer. Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, gilt es, systematisch die Besten zu suchen und die gemeinsame Leistungsfähigkeit weiterzuentwickeln und in die Wertschöpfungskette von Montblanc nahtlos zu integrieren. Dies ist heute Ziel des Supplier Relationship Managements von Montblanc. Nachhaltiges Supplier-Relationship Management funktioniert nur, wenn es systematisch angegangen und nicht durch gelegentliche Kraftanstrengungen versucht wird.
Im Januar 2004 beauftragte die Montblanc-Simplo GmbH Abels & Kemmner mit dem Aufbau eines systematischen Lieferantenmanagements. Der Schwerpunkt des Projektes lag auf der Bereitstellung geeigneter Hilfsmittel, um die Auswahl, Weiterentwicklung und Integration der Lieferanten schneller, effizienter und systematischer anzugehen.
Im Laufe des Jahres 2004 entwickelten die Berater eine Reihe von Werkzeugen zur Lieferantenbeurteilung weiter, passten sich gemeinsam mit den Mitarbeitern des Einkaufs auf die Belange und Organisationsabläufe bei Montblanc an und coachten die Mitarbeiter bei der systematischen Anwendung. Heute werden alle neuen Lieferanten einer SWOT-Analyse unterzogen, um Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken einer zukünftigen Zusammenarbeit frühzeitig und systematisch zu erkennen. Anhand strategischer Kriterien wurde eine Lieferantenstärke-Analyse erarbeitet. Diese Analyse hilft heute dabei, die richtigen Kooperationsstrategien gegenüber verschiedenen Lieferanten abzuleiten.
Maßgeschneiderte Bewertung
Von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit der A-Lieferanten und bestimmter B-Lieferanten ist eine speziell für Montblanc entwickelte Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit von Zulieferern (RPA-II). Es handelt sich dabei um eine grundlegende Weiterentwicklung auf Basis eines von Abels & Kemmner entwickelten Lieferantenbewertungssystems und des von Raymond Eugene Goodson an der University of Michigan über mehrere Jahre entwickelten Rapid Plant Assessments, das im Mai 2002 in Harvard Business Review das erste Mal offiziell vorgestellt wurde. Die Kosten für die Anpassung eines solchen Bewertungsschemas an unternehmensspezifische Belange inklusive fertig konfigurierter Softwarefiles für die Auswertung liegen im vierstelligen Eurobereich und sind nicht nur für Großunternehmen erschwinglich.
Je nach Bedeutung eines Lieferanten wird dieser ein- bis zweimal jährlich mit Hilfe dieses Lieferantenbewertungssystems beurteilt. Anhand der Hauptkriterien Überlebensfähigkeit, Standort, technisches, personelles, organisatorisches und Qualitätsniveau des Unternehmens erhält der Lieferant Hinweise, um seine Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern. In regelmäßigen Lieferantengesprächen, so genannten Quartalsgesprächen, werden eingeleitete Maßnahmen verfolgt.
Der RPA-II-Bewertungskatalog besteht aus 6 Hauptkriterien mit 22 Unterkriterien, die bis zu 11 Ausprägungen besitzen. Die Hauptkriterien umfassen die Bereiche Überlebensfähigkeit und Standort des Unternehmens, das technische, personelle und organisatorische Niveau des Unternehmens sowie das Qualitätsniveau des Unternehmens. Hinsichtlich des Qualitätsniveaus wird auf die „Qualitätsfähigkeit” Wert gelegt, während formelle Qualitätszertifizierungen nur geringen Einfluss auf die Bewertung haben. Dies rührt daher, dass in den meisten Unternehmen bereits Prozesse zur Bewertung der Produkt- und Lieferqualität der Lieferanten bestehen. Gute oder schlechte Leistungen der Lieferanten sollen an dieser Stelle nicht doppelt gewertet werden.
Die sechs Hauptkriterien schlüsseln sich in folgende Unterkriterien auf:
- Überlebensfähigkeit:
Bonitätsindex, Abhängigkeit von einzelnen Unternehmens-Ressourcen - Standort:
Entfernung des Produktentwicklungsbereichs, Landesrisiko nach verschiedenen Bewertungskriterien - Technisches Niveau des Unternehmens:
Technischer Leistungsumfang, Technischer Leistungszustand, Umrüstflexibilität, CAD/CAM-Kopplung, Materialfluss und Raumnutzung - Personelles Niveau des Unternehmens:
Fachkompetenz, Personelle Flexibilität, Motivation und Mitarbeiterqualifizierung Sauberkeit und Ordnung, Kundenorientierung - Organisatorisches Niveau des Unternehmens:
Komplexitätsmanagement und -flexibilität, Lieferanteneinbindung, Interne Organisationsabläufe, Kundenanbindung, Produktionsplanung und -steuerung, Visuelles Management, - Qualitätsniveau des Unternehmens:
Qualitätsmanagement des Lieferanten.
Vorgehensweise bei der Auditierung
Üblicherweise druckt sich der Auditor, bei Montblanc sind dies zumeist die technischen Einkäufer, einen unausgefüllten Bewertungskatalog aus. Mit diesem kann er vor Ort bequem arbeiten, ohne auf einen Laptop angewiesen zu sein. Zurück am Schreibtisch gibt der Auditor seine Bewertung in das System ein. Er kann dabei gegenwärtig zwischen einer englischen und einer deutschen Version hin- und herschalten. Weitere Sprachen können problemlos eingepflegt werden. Auf diese Weise kann er beispielsweise mit einem deutschen Erfassungskatalog arbeiten, die Bewertung auf Deutsch in sein System eingeben und für den Lieferanten einen Bericht in dessen Sprache drucken.
Wenn das Audit von mehreren Personen oder von einem erfahrenen Auditor durchgeführt wird, hat es sich als vorteilhaft erwiesen, während des Lieferantenbesuchs und der Betriebsbesichtigung die Augen offen und die Füller geschlossen zu lassen, also nicht wie ein Überwachungsbeamter aufzutreten. Das laufende Eintragen und Abhaken von Kriterien lenkt die Aufmerksamkeit von den Betriebsgeschehnissen ab. Die Kriterien sind deshalb gezielt so aufgebaut und beschrieben, dass das Auditprotokoll nach dem Besuch ausgefüllt werden kann. Auch unerfahrene Anwender gelangen zu verlässlichen Aussagen, wenn mehrere Mitarbeiter gemeinsam bewerten.
Das Ergebnis des Audits mündet einerseits in eine Gesamtnote, die maximal 10,00 Punkte betragen kann, und andererseits in ein aufgeschlüsseltes Leistungsprofil für die einzelnen Bewertungskriterien. Die Gesamtnote ermöglicht es, anhand einer Kennzahl die Weiterentwicklung der Lieferantenpools von Montblanc zu verfolgen. Anhand dieses Detailprofils kann der Lieferant erkennen, an welchen Stellen er die Montblanc-spezifischen Anforderungen noch nicht ausreichend erfüllt.
Zweck des Audits ist es nicht, den Lieferanten die zu ergreifenden Maßnahmen vorzuschreiben. Welche konkreten Maßnahmen das bewertete Unternehmen durchführen will, um die aufgezeigten Defizite zu beseitigen, bleibt dem Management überlassen. Andererseits muss das Management des Lieferanten jedoch Montblanc gegenüber aufzeigen, welche Maßnahmen in welchem Zeitraum eingeleitet werden sollen.
Je nach Bedeutung eines Lieferanten finden zwei- bis viermal jährlich Lieferantengespräche statt. Einen Standard-Tagesordnungspunkt dieser Lieferantengespräche stellt die Besprechung der bisherigen Maßnahmen und der erreichten Erfolge dar. Auf diese Weise wird die Lieferantenentwicklung konsequent verfolgt und vorangetrieben.
Auch in der Luxusgüterindustrie stehen nicht nur Marken im Wettbewerb, sondern auch deren Supply Chains. Wie im Fußball gewinnt man gemeinsam und verliert gemeinsam. Um das Spiel zu gewinnen gilt es daher mit einer Lieferantenintegration und einer optimalen Aufstellung ein richtiges Zusammenspiel zu schaffen; ein Schritt, an dem die Berater gegenwärtig arbeiten.
Hans-Hubert Hatje,
Group Purchasing Director von Montblanc, verantwortet die Einkaufsaktivitäten der Montblanc Gruppe
Dr. Götz-Andreas Kemmner,
Mitbegründer von Abels & Kemmner, einer Beratungsgesellschaft, deren Schwerpunkt u.a. auf der Straffung von Wertschöpfungsketten liegt
Supplier Relationship Management
Vor einigen Jahren noch galt die gesamte Aufmerksamkeit der Optimierung der innerbetrieblichen Abläufe. Ziel war, die Schnittstellen zwischen den betrieblichen Bereichen zu Gunsten des Gesamtprozesses zu überwinden. Viele Unternehmen haben bei der Gestaltung „durchgängiger Geschäftsprozesse” beträchtliche Fortschritte gemacht. Die Prozessintegration macht jedoch nicht an den Werkstoren Halt. Eine leistungsfähige Supply Chain integriert auch Kunden und Lieferanten. Alle Aktivitäten zur Pflege der Lieferantenbasis und zur Integration der Lieferanten in die Wertschöpfungskette bezeichnet man heute mit dem Begriff des Supplier Relationship Management.