Senkung der Transaktionskosten in virtuellen Kooperationen
In der Praxis hat sich gezeigt, dass ein spontanes Zusammenfinden und Zusammenarbeiten von rechtlich unabhängigen Firmen in Form Virtueller Unternehmen eine echte Alternative zum internen Wachstum bzw. externen Wachstum durch Fusion darstellt. Dies begründet sich durch die große Flexibilität und Schnelligkeit der auf Kernkompetenzen konzentrierten Virtuellen Unternehmen. Sie funktionieren jedoch nur dann, wenn zwischen den beteiligten Unternehmen zuvor ein Netzwerk mit vorbereiteter organisatorischer und technischer Infrastruktur aufgebaut wurde, um die Transaktionskosten auf das Niveau interner Kosten zu senken. Die Nutzung neuer Informationstechnologien wird dabei zunehmend bedeutender.
Transaktionskosten umfassen all jene Kosten, die notwendig sind, um Transaktionen zwischen zwei Parteien durchzuführen. Um diese Transaktionskosten zu reduzieren, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man reduziert die Anzahl der Transaktionen oder man optimiert die Transaktionsaufwendungen pro Transaktion. Da es auch heute noch gilt, zunächst das Richtige und dann dieses richtig zu machen (Effektivität vor Effizienz), empfiehlt sich beim Aufbau von Virtuellen Unternehmen, zunächst die Transaktionserfordernisse zu definieren und diese dann zu optimieren. Und dies ist im Prinzip sehr einfach, wenn man Virtuelle Unternehmen so auffasst, dass sie natürlichen Unternehmen ähneln, die noch den Status des Abteilungsdenkens verinnerlicht haben.
Erinnern wir uns: Die organisatorischen Abläufe, sei es die Entwicklung eines Produktes oder die Abwicklung eines Kundenauftrages, wurden früher und werden bei vielen Mittelständlern noch heute oftmals durch Abteilungsdenken behindert. Im Englischen spricht man sehr plastisch vom “over the wall approach”: Unternehmen verlieren viel Zeit und Geld, wenn Abteilungen ihre isolierten Aufgaben erledigen und dann die festzementierten Ergebnisse an die nächste Abteilung weitergeben.
Um die Abläufe in einem Unternehmen wirkungsvoll gestalten zu können, müssen die organisatorischen Mauern zwischen diesen Abteilungen überwunden werden; ein durchgehender Geschäftsprozess muss aufgebaut werden. Wollen mehrere Unternehmen wirkungsvoll zusammenarbeiten, müssen sie genau diesen Schritt auch zwischen den einzelnen Unternehmen vollziehen: Organisatorische Abläufe in den einzelnen Unternehmen müssen so aufeinander abgestimmt werden, dass sie auch überbetrieblich einen durchgehenden Geschäftsprozess bilden, der möglichst wenige Schnittstellen und damit möglichst wenig Transaktionskosten verursacht. Ein solcher, unternehmensübergreifend optimierter Geschäftsprozess, ist die Basis für das Funktionieren und den Erfolg Virtueller Unternehmen.
Zusätzlicher Aufwand am Beginn der Prozesskette
Bei der rationellen Gestaltung von Geschäftsprozessen stellt man häufig fest, dass zu Beginn der Prozesskette zusätzlicher Aufwand betrieben werden muss, um am Ende der Prozesskette effizienter arbeiten zu können. Dieser Effekt erschwert zuweilen die Optimierung von Geschäftsprozessen innerhalb eines Unternehmens, da jeder Unternehmensbereich darauf bedacht ist, seinen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Noch schwieriger wird dies, wenn nicht zwischen verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens, sondern zwischen verschiedenen Unternehmen vermeintlicher Aufwand und Nutzen verschoben werden.
An dieser Stelle scheitern viele Versuche einer Kooperation in Form Virtueller Unternehmen. Trotzdem ist ein optimierter und durchgängiger Geschäftsprozess die Grundvoraussetzung jeder langfristig erfolgreichen Kooperation zwischen Unternehmen. Aus diesem Grunde entschied sich das Virtuelle Unternehmen VIA, das im Jahre 1997 von sechs Automobilzulieferunternehmen aus Nordrhein-Westfalen gegründet wurde, einen mit virtuellen Unternehmen erfahrenen Unternehmensberater hinzu zu ziehen, der die Gestaltung des Geschäftsprozesses überparteilich begleitete, und als Ombudsmann mögliche Konflikte zwischen den einzelnen Parteien zielführend klären konnte. Darüber hinaus legte man besondern Wert auf die gemeinsame Entwicklungskooperation, denn hier sah man die größten Chancen, optimierte Lösungen zu günstigeren Kosten realisieren zu können. Diese virtuelle Entwicklungskooperation wird jetzt durch eine elektronische Kooperationsplattform namens Kopl@ optimiert und damit der zweite wesentliche Punkt der Transaktionskostenreduktion angegangen, nämlich das Richtige richtig zu tun.
Das Finetuning
Je freier die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Parteien gestaltet und je dünnmaschiger das gemeinsame Regelwerk ist, desto wichtiger ist das Vertrauen zwischen den Mitarbeitern der beteiligten Unternehmen. Dieses Vertrauen zwischen den Partnern lässt sich grundsätzlich nur durch regelmäßige persönliche Kontakte erreichen. Dennoch ist es nicht erforderlich, sich mit unzähligen Meetings, Koordinations- und Lenkungsausschusssitzungen unnötig von der eigentlichen Arbeit abhalten zu lassen und die Transaktionskosten in die Höhe zu treiben. Dies gilt für reale Unternehmen genau so, wie für virtuelle.
“Unzählige Meetings treiben die Transaktionskosten in die Höhe”
Die notwendige intensive Kommunikation zwischen den verteilten Mitgliedern unternehmens- bzw. standortübergreifender Projektteams, wie sie in der Produktentwicklung heute zumeist üblich sind, kann heute vielfach über neue Kommunikationsmittel realisiert werden. Sie ermöglichen es, einfach, schnell, kostengünstig und intensiv Informationen auszutauschen, und reduzieren so die Transaktionskosten.
Für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit der räumlich verteilten Partner Virtueller Unternehmen, ist es deshalb von entscheidender Bedeutung,
- dass alle beteiligten Unternehmen über den gleichen, immer aktuellen Informationsstand bezüglich gemeinsamer Projekte verfügen,
- dass Doppelarbeit für die Erfassung benötigter Informationen und für die Verwaltung von Dokumenten und Dokumentversionen vermieden wird,
- dass das Know-how einzelner Kooperationspartner und durchgeführter Projekte dem gesamten Netzwerk zur Verfügung gestellt werden kann,
- dass die Partner Informationen leicht und schnell wiederfinden können,
- dass sie über die für sie wichtigen Projektveränderungen automatisch informiert werden und
- dass Arbeitsabläufe über Unternehmens- und Standortgrenzen hinweg vorgegeben und hinsichtlich ihrer Abarbeitung überwacht werden können.
“Arbeitsabläufe müssen über Unternehmensgrenzen hinweg kontrollierbar sein”
Letzterem Aspekt ist dabei im Sinne der Transaktionskostenreduktion besondere Bedeutung beizumessen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die beteiligten Unternehmen über eine gemeinsame Kooperationsplattform verfügen, die im Falle des Virtuellen Unternehmens VIA wie folgt konzipiert wurde:
Zugang zu der Kooperationsplattform erhalten alle Mitarbeiter in den beteiligten Unternehmen über ihren Web-Browser und das Internet. Dem einzelnen Anwender stellt sich die Kooperationsplattform als Arbeitsplatzportal auf seinem PC dar. Er wird von Kopl@ automatisch über Projektveränderungen informiert und kann sich von überall aus über eine Internetverbindung und einen Webbrowser in Kopl@ einloggen. Von hieraus kann er auf alle Projekte mit den zugehörigen Dokumenten, Aufgabenlisten, Diskussionen etc. zugreifen, um sich über den Projektstatus, über Projektveränderungen sowie Termin-, Kosten- und Kapazitätsverschiebungen und andere projektrelevante Daten zu informieren. Hierbei wird insbesondere darauf geachtet, dass der jeweilige Mitarbeiter nur die für ihn relevanten Informationen erhält und Prioritäten in der Abarbeitung der einzelnen Teilaufgaben erkennen kann.
Für die tägliche Arbeit kann er Dokumente “hochladen” oder in Kopl@ vorhandene Dokumente bearbeiten, Aufgaben verteilen oder erledigte Aufgaben abhaken oder prüfen. Damit die Projekte möglichst geordnet abgewickelt werden, stellt Kopl@ beim Start eines neuen Projektes einen für VIA-Projekte individuell gepackten Container mit vordefinierten Projektphasen, Meilensteinen, Formularen und Genehmigungsprozeduren bereit und ist entsprechend dem zertifizierten Produktentstehungsprozess der Anwender-Unternehmen angepasst bzw. anpassbar hinsichtlich neuer Normen (wie z.B. für die Einführung der EN ISO 9000 oder der neuen Automotive-Norm TS 16.949) oder neuer Prozessoptimierungen.
Das Arbeitsplatzportal bietet ihm auch den Zugriff auf Werksnormen, Verfahrensanweisungen sowie andere wichtige Informationen und stellt ihm bei Bedarf Links zu weiteren wichtigen Webseiten zur Verfügung. Dokumente können entweder auf der Kooperationsplattform gehalten werden oder es kann ein Zugriff auf ein sogenanntes Product Data Management System (PDM-System) geschaltet werden.
Über leistungsfähige Suchfunktionen macht Kopl@ das in Projekten und auf externen Dateisystemen liegende Know-how den Anwendern wieder zugänglich. Damit sollen den beteiligten Projektteams alle verfügbaren fachlichen Informationen zur Verfügung stellt werden, um im Projektverlauf Entwicklungsfehler zu vermeiden bzw. schneller zu erkennen.
Um beim gemeinsamen Informationsaustausch über das Internet ausreichende Datensicherheit zu gewährleisten, werden u.a. Verschlüsselungstechniken eingesetzt.
Für die Zukunft hofft man auf die Einführung noch schnellerer Datenübertragungsmöglichkeiten und Internetbildtelephonie, um die Performance des Systems noch weiter zu steigern. Diese sind in den nächsten drei Jahren zu erwarten. Bis dahin will man es schaffen, das Projektmanagement virtuell zur Perfektion zu bringen, um die dann zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal nutzen zu können und die Transaktionskosten weiter zu reduzieren.
FAZIT
Auf die Frage, warum in manchen Branchen die großen Unternehmen und in manchen die kleineren, vernetzt arbeitenden Unternehmen erfolgreicher sind, gibt die Betriebswirtschaft heute eine klare, einfache Antwort: Wenn die internen “Transaktionskosten” günstiger sind, als die externen, müssen Unternehmen wachsen, um erfolgreich bleiben zu können. Dort, wo die internen Transaktionskosten größer sind als die externen, haben kleinere vernetzt arbeitende Unternehmen die besseren Wettbewerbschancen. Mit Unterstützung einer Kooperationsplattform können externe Transaktionskosten auf das Niveau interner gesenkt werden. Sie stellen damit ein zentrales Instrument dar, mit dem vernetzt arbeitende und auf Kernkompetenzen konzentrierte Mittelständler im Wettbewerb mit großen Konkurrenten gleich- oder sogar vorbeiziehen können. In der Theorie ist man sich hierüber schon einig. [Laubacher] In der Praxis stehen jedoch erst heute die Werkzeuge zur Verfügung, die es jedem Unternehmen ermöglichen, Teil eines Virtuellen Unternehmens zu werden. Diese Chancen sollten kleine und mittelständische Unternehmen nicht ungenutzt lassen, denn sonst laufen sie Gefahr, das der Zug, der durch das Internet ins Rollen gekommen ist, an Ihnen vorbeifährt.
Literaturhinweise: Laubacher, Robert J., Malone, Thomas W.: Two Scenarios for 21st Century Organizations: Shifting Networks of Small Firms or All Encopassing “Virtual Countries”?