von Michael Hennen
Lagerbestände sind totes Kapital und kosten Geld. Serien- und Variantenfertiger sowie Großhändler investieren 19 bis 30% Ihres durchschnittlichen Lagerbestandswertes jährlich zusätzlich in Lagerhaltungskosten. Der Gewinn kann folglich bei sinkenden Lagerbeständen um bis zu 30% des reduzierten Lagerbestandwerts erhöht werden und bis zu 100% liquide Mittel freisetzen. Beste Ansatzpunkte zur Lagerbestandsreduktion sind strategische Bestandanalysen sowie die richtige Einstellung der Parameter in ERP- bzw. PPS-Systemen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Herzogenrather Unternehmensberater Abels & Kemmner.
Die Bestände in den Unternehmen sind in den letzten Jahren aufgrund der Einführung von DV-Systemen bereits deutlich zurückgegangen, es existiert jedoch weiterhin Optimierungspotential. Die vorhandenen Materialwirtschaftssysteme unterstützen zwar die Disponenten, bieten aber nur selten hinreichend Analysefunktionen und Optimierungen zu strategischen Bestandsproblemen. Der nötige analytische Aufwand kann jedoch meist nicht von den Unternehmen selbst erbracht werden, da das tägliche Geschäft keine Zeit dazu lässt. Mit relativ geringem Aufwand kann bereits ein großer Teil der Bestände und damit der Kosten bei gleichzeitiger Sicherung der Lieferbereitschaft abgebaut werden. Dies ermittelte Abels & Kemmner in einer EDV-gestützten Studie bei 34 deutschen Serienfertigern und Großhändlern.
Zunächst wurden die Artikel nach Wichtigkeit und Vorhersehbarkeit geordnet. Als Kriterien dienten z.B. der Umsatzanteil, die Bestandshöhe, der Servicegrad, aber auch Untersuchungen auf Trend, Saisonalität u.ä. Diese Informationen flossen in eine ABC-XYZ-Analyse ein und erlaubten ein entsprechendes Strukturieren bzw. Gruppieren der Artikel. Für jede Artikelgruppe erfolgte die Bestimmung der geeigneten Dispositionsstrategien und der jeweiligen Dispositionsparameter. Anschließend wurden die zu erwartenden Bestände simulativ ermittelt.
Hohes Einsparpotenzial
Unter Berücksichtigung des erhobenen Optimierungspotentials der Supply-Chain ermittelte Abels & Kemmner bei 82% der untersuchten Unternehmen mindestens 15% Einsparpotential, 32% könnten sogar mehr als 25% einsparen. Der größte Cluster mit 43% der Unternehmen kann zwischen 20 und 25% einsparen.
Ursachen für die Existenz des vorhandenen Optimierungspotentials sind, dass sich Unternehmen entweder auf die Parameter der eingesetzten Systeme verlassen bzw. nicht das erforderliche Know-how haben oder einfach nicht die Zeit bzw. das erforderliche Geld investieren, strategische Optimierungsmaßnahmen einzuleiten. Das Y2K-Problem hat sein übriges dazu beigetragen, denn vielfach wurden neue Systeme eingeführt, die bis heute nicht optimiert laufen. Wie sich zeigt, wird hier jedoch an falscher Stelle gespart.
Die häufigsten Mängel
Bei der Untersuchung zeigten sich die häufigsten Mängel in folgenden Bereichen:
- Von Softwarehäusern voreingestellte Parameter wurden ohne unternehmensspezifische Überprüfung übernommen
- Wurden Parametereinstellungen bewusst vorgenommen, basierten sie auf Daten, die vor mehr als einem Jahr erhoben wurden
- Die angewandten Berechnungsmethoden waren oft nicht für das Lagerabgangsverhalten der betroffenen Artikel geeignet
- teilweise existieren nur einfachste Bestandsplanungsverfahren in den ERP-Systemen (vgl. auch Kasten)
- Wichtige Unsicherheitsfaktoren bei der Materialbestandsplanung (Mehrverbrauch, Lieferverzögerung oder Unterlieferung) wurden nicht berücksichtigt
Ein großer Teil der zur Lagerbestandsplanung üblicherweise eingesetzten Berechnungsmethoden (Mittelwert, exponentielle Glättung, MAD…) setzt einen normalverteilten Lagerabgang voraus, ohne auf die tatsächliche Lagerabgangsverteilung einzugehen. Es zeigt sich jedoch, dass in der Praxis unterschiedlichtste Verteilungen der Lagerabgänge auftreten. Bei einer an der RWTH Aachen durchgeführten Untersuchung lag der Anteil der beobachteten Normalverteilung bei nur ca. 5%. Ein relativ großer Anteil der beobachteten statistischen Abgangsverteilungen (ca. 25%) konnte hingegen überhaupt keinem der untersuchten theoretischen Verteilungstypen zugeordnet werden. Hinweise, wie in solchen Fällen zu verfahren ist, finden Anwender in ERP- und PPS-Systemen naturgemäß nicht.
Durch die Entwicklung einer unternehmensspezifischen Dispositionsstrategie sowie die richtige Einstellung der Parameter in ERP- bzw. PPS-Systemen können Lieferbereitschaft und damit letztlich der Umsatz erhöht, die Kosten reduziert und die eigene Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Gleichzeitig kann durch marktorientierte Korrekturen das Artikelsortiment auf das tatsächlich nötige Maß gestrafft werden.
Aussicht
Aufgrund des erkannten Optimierungspotentials hat Abels & Kemmner das AddOn-Tool DISKOVER 4.0 entwickelt, dass eine automatische Parameteroptimierung im ERP-System ermöglicht. Das Programm wird derzeit bei zwei Pilotunternehmen Herth+Buss (SAP/R3), Rudolph Küchentechnik (FAMAC) getestet. Schnittstellen zu weiteren ERP-/PPS-Systemen sollen kurzfristig realisiert werden.
Das System unterstützt als aktive Komponente die operative und strategische Disposition. Wegen der zuvor genannten Probleme normalverteilungsbasierter Berechnungsmodelle wurden innovative (verteilungsfreie) Berechnungsmethoden sowohl für die Bedarfsprognose als auch für die Sicherheitsbestandsbestimmung entwickelt. Durch eine gezielte artikelspezifische Analyse können für jeden Artikel die optimalen Verfahrensvarianten und Parameter ausgewählt werden. Ein Controllinginstrument ermöglicht dem Disponenten, mittels Kennzahlen verbesserungsfähige Artikel(-gruppen) zu identifizieren und zur Einleitung entsprechender Maßnahmen zu selektieren.