Was muten wir eigentlich unseren Disponenten zu? Wenn wir nur die vier Stammdatensichten zur Disposition in SAP betrachten, sind je Arti­kel ca. 60 Stammdatenfelder zu pflegen. Hinzu kommen die Stammdaten für Arbeitsvorberei­tung, Prognosen, Infosätze, Orderbücher und, und, und … Der klassische Disponent hat damit je nach Artikelanzahl und gewählten Funktiona­litäten 100.000 bis eine Millionen Stamm­daten aktuell zu halten.

Ein Disponent hat mehr Daten zu pflegen, als er Arbeitsminuten pro Jahr zur Verfü­gung hat! Und das ist nur die quantitative Be­trachtung. Gleichzeitig verlangen wir, dass er auch die qualitativ richtigen Einträge vornimmt und sich damit täglich für die richtige Wahl ent­scheidet. Jeder, der sich näher mit der Disposi­tion beschäftigt, weiß, dass dies eine hoch­komplexe Aufgabe ist: Viele Parameter hängen inhaltlich voneinander ab und bedingen sich gegenseitig. Dies kann bei der Masse an Daten zwangsläufig nur zur Überforderung führen. Was macht der Mensch in solchen Situationen? Er vereinfacht die Aufgabenstellung. So wun­dert es nicht, dass in den meisten Unterneh­men nur wenige Planungs- bzw. Dispositions­alternativen im Einsatz sind.

Zum Verzweifeln!

Ohne passende Strategien und Tools werden Disponenten zunehmend überfordert:

1.000 Artikel x 4 Dispositionssichten x durchschnittlich 15 Stammdaten=60.000
1.000 Artikel x 5 Arbeitsvorbereitungs-Stammdaten=5.000
1.000 Artikel x 1 Prognosesicht x 12 Stammdaten=12.000
1.000 Artikel x 1 Verbrauchssicht à 24 Perioden=24.000
1.000 Artikel x 4 Infosatzsichten x 6 Stammdaten=24.000
1.000 Artikel x 1 Orderbuch x 5 Stammdaten=5.000
Gesamtstammdaten bei 1.000 Artikeln=130.000

Dabei sind Vergangenheitswerte, Quotierungen, Lieferpläne und Kontrakte nicht berücksichtigt.

Um nicht unangenehm aufzufal­len – beispielsweise durch Ärger einbringende Stockout-Situationen – schafft er sich Mecha­nismen, die zu einem gefühlt besseren Ergebnis führen: Er baut Sicherheiten auf. Zum Beispiel werden Sicherheitsbestände eingestellt oder Planzahlen angehoben, was auch bei Bedarfsspitzen die Lieferbereitschaft garantie­ren soll. Es werden mit dem gleichen Ziel Min­destlosgrößen erhöht und längere Lieferzeiten eingepflegt. Nicht für jeden sofort ersichtlich, stehen auch Bedarfsvorlaufzeiten hoch im Kurs, die letztlich mit einer verfrühten Bevorratung den gleichen Effekt haben.

Gerne geben wir den Disponenten die Schuld für unstimmige Bestände und schlechte Lie­ferperformance. Das ist aber zu einfach! Eher sind es mangelnde Konzepte und fehlende Unterstützung in der Disposition und Stamm­datenpflege, die zur Misere führen. Das muss jedoch nicht sein! Wenn Sie unser 8 Punkte­Programm beachten, bekommen Sie Ihre Parameter in den Griff und sparen wertvolle Ressourcen.

8 Punkte-Programm für bessere Stammdaten:

  1. Artikel klassifizieren
  2. Klassenregeln erstellen
  3. Lieferantenketten optimieren
  4. Wirkungszusammenhänge simulieren
  5. Optimierte Werte in Stammdaten einpflegen
  6. Nachhaltigkeit durch automatisierte Disposition umsetzen
  7. Konstante Schulungen der Mitarbeiternicht vergessen
  8. Controlling etablieren

1. Klassifizieren Sie Ihre Artikel

Die Klassifizierung dient zur Reduzierung der Komplexität in der Planung und Disposi­tion (vgl. Abbildung 2). Bilden Sie Klassen und treffen Sie Entscheidungen, wie die einzelne Klasse sinnvoll einzustellen ist. Als Klassifi­zierungskriterien bieten sich an: das Lebens­zykluskennzeichen, die ABC/XYZ-Merkmale oder das Beschaffungskennzeichen. In der Regel kommen weitere unternehmensspezi­fische Merkmale hinzu, die zur Berücksich­tigung der jeweiligen Restriktionen in Logistik und Produktion dienen (z.B. Lagervolumen, Mehrfachverwendung, vertragliche Verein­barungen mit Lieferanten und Kunden).

2. Stellen Sie Regeln für die einzelnen Klassen auf

Die Regeln legen Sie fest, indem Sie folgende Fragen beantworten: Wird ein Artikel bevorratet oder nur bei Bedarf beschafft? Kommen Pull-Me­chanismen zum Einsatz oder sind Push-Verfahren die geeigneteren? Welche Lieferbereitschaft bzw. Verfügbarkeit wird konkret angestrebt? Sollen Planzahlen des Vertriebs oder statistische Prognosen die Pla­nungsgrundlage sein? Wie ist ggf, mit Saisonalitäten oder schwankenden Bedarfszahlen umzugehen?

3. Sprechen Sie mit Ihren internen und externen Lieferanten zur Optimierung der Lieferkette

Prüfen Sie zunächst, bei welchen Lieferanten es sich lohnt, die logisti­schen Parameter, wie z.B. Lieferzeit, Losgröße, Mindestmenge etc., zu verändern. Legen Sie gemeinsam mit ihm die zukünftigen Prozesse fest, wie Sie miteinander zusammenarbeiten wollen. Ermitteln Sie, welche Pa­rameter dies beeinflusst und wie sie einzustellen sind. Hinterlegen Sie auch für diese Größen exakte, nachvollziehbare Regeln.

4. Prüfen Sie die Auswirkungen des Regelwerks

Entscheidend ist, welche Effekte das Regelwerk erzielt. Um diese nicht mit einem langwierigen und kostspieligen „Trial and Error” einstellen zu müssen, bietet sich die Simulation der Beschaffungsprozesse mit geänderten Parametern an. Daher ist zunächst simulativ zu prüfen, wie sich die jeweils relevanten logistischen Kennzahlen ändern. Wird die ange­strebte Lieferbereitschaft erreicht? Was kostet es, die Lieferbereitschaft zu erhöhen? Sind Bestandssenkungspotenziale und damit Liquiditätsre­serven abzuschöpfen? Welchen (Mehr-)Aufwand bedeuten die Ände­rungen für Produktion. Logistik und Lieferanten?

5. Setzen Sie die Regeln in Einstellwerte der Stammdaten um

Jetzt werden Sie konkret: Legen Sie die Ausprägung der Stammdaten genau fest. Zum Einen bedeutet dies, genaue Einstellwerte vorzugeben, wie z.B. die Dispositionsmethode, Losgrößenregel oder Planungsstrate­gie. Zum Anderen setzen Sie die erarbeiteten Regeln in Algorithmen um, z.B. zur Berechnung der Mindestlosgröße, der Meldebestände oder der Eindeckzeiträume.

6. Realisieren Sie das Regelwerk zur Unterstützung der Disponenten als nachhaltige Lösung

Wie bereits eingangs beschrieben, ist das zu handhabende Datenvolu­men oft ein Problem, weshalb die Stammdaten kaum oder nur rudimen­tär gepflegt sind. Mit dem definierten Regelwerk besteht nun die Mög­lichkeit. die Datenpflege softwaretechnisch abzubilden und zu automatisieren. Dabei ist der Aufwand zur Programmie­rung vergleichsweise gering – der Nutzen aber enorm. Die Aufgabe, Stammdaten aktuell zu halten und regelmäßig zu überprüfen, über­nimmt nun die Maschine. Die Planer und Dispo­nenten bekommen jetzt mehr die Aufgabe, die Ergebnisqualität zu prüfen und das Regelwerk zu pflegen. D.h., der Aufwand der Datenpflege nimmt drastisch ab bei besserer Datenqualität und besseren Planungs- und Dispositionser­gebnissen.

7. Führen Sie sorgfältig vorbe­reitete Schulungen durch und coachen Sie Ihre Mitarbeiter nach dem Go Live

Auch wenn dieser Punkt fast am Ende steht, ist er der entscheidende Faktor in der Umsetzung. Nur ein geschulter und überzeugter Dispo­nent wird von alten Vorgehensweisen loslas­sen können und das neue Regelwerk nutzen. Deshalb sind entsprechende Schulungsmaß­nahmen vorzubereiten und durchzuführen, um das Regelwerk zu erklären und transparent zu machen.

Ggf. sind zusätzlich Dispositionsgrundlagen zu schulen, die bisher noch nicht angewandt wur­den, aber jetzt zum Einsatz kommen. Es ist manchmal erstaunlich, welche Wissenslücken sich selbst bei altgedienten Mitarbeitern noch auftun. Nach der Schulungsphase und der ope­rativen Umstellung auf das neue Regelwerk muss gewährleistet sein, dass die Planer und Disponenten bei Fragen oder Problemen An­sprechpartner haben, die kurzfristig Rede und Antwort stehen und ggf. zur Fehlerbehebung beitragen können. Idealerweise coachen die Kollegen, die an dem Aufbau des Regelwerks mitgewirkt haben.

8. Vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern, verzichten Sie aber nicht auf das Controlling

Um zu einer nachhaltigen Lösung zu kommen, ist es unabdingbar, die Ergebnisse des Pro­jektes regelmäßig zu überwachen und zu kon­trollieren. Zum Einen dient dies zur Überprü­fung der Wirksamkeit des neuen Regelwerks. Nehmen Sie bei Bedarf Feinjustierungen am Regelwerk vor. Zum Anderen dient dies natür­lich auch zum Erkennen von Abweichungen vom Regelwerk. Denn es gibt tausend Grün­de, warum ein Artikel jetzt gerade nicht nach dem Standard geplant werden kann. Diese Artikel sind aufzuspüren und mit dem Dispo­nenten abzustimmen. Entweder hat der Dis­ponent recht und es besteht möglicherweise eine Lücke im Regelwerk, die es schnell zu schließen gilt. Oder aber man kann Unklar­heiten beseitigen, indem man gezielt noch­mals die Wirkungsweise des Regelwerks er­läutert. Steter Tropfen höhlt auch hier den Stein.

Schlussfolgerung

Die Erarbeitung und Einführung eines wie oben beschriebenen Regelwerkes hat folgende Vorteile:

  • Sie nehmen dem Disponenten ein Stück der Ver­antwortung, die oft als Bürde empfunden wird. Er kann sich bei Nachfragen seiner Kollegen auf das Regelwerk berufen, wenn es z.B. zu einer Stock-out-Situation kommen sollte. Denn mit dieser ist zu rechnen: 95% Lieferbereitschaft heißt auch, 5% nicht pünktlich liefern zu wollen.
  • Das Regelwerk führt zu einer Standardisie­rung der Planungs- und Dispositlonsprozesse. Dies hat den Vorteil, dass Urlaubsvertretungen oder eine andere Aufteilung unter den Beteillg­ten kein Problem darstellen. Weiterhin lassen sich Schulungen spezifischer auf die Aufgabe ausrichten. Letztlich können neue Planer und Disponenten schneller eingearbeitet werden.
  • Der Aufwand für die Parameterpflege redu­ziert sich auf ein Minimum, sodass sich die Beteiligten auf Problemsituationen konzen­trieren können oder andere Arbeiten, zum Beispiel die Preisverhandlung im Einkauf, mit mehr Sorgfalt ausüben können.
  • Beim Aufbau eines Regelwerks setzen Sie klassifizierende logistische Kenngrößen in konkrete Vorgaben für Einstellwerte und Dis­positionsmethoden um. Erst die Umsetzung des Regelwerks im ERP-System bringt eine Entlastung der Beteiligten und führt zu objek­tiven Planungsergebnissen.

Autor

Dr. Bernd Reineke ist geschäftsführender Gesellschafter der Abels & Kemmer GmbH, Herzogenrath. Bereits dreimal gewannen Supply Chain Konzepte, die A&K mit seinen Kunden erarbeitet hat, Best Practi­ce Preise.

E-Mail: breineke@ak-online.de Tel.: 02407 9565-0

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Dr. Bernd Reineke