Vergessen Sie Bauchgefühl – So treffen Sie mit KI die besseren Entscheidungen
Warum Ihre Prognosen intelligenter sein sollten als Ihr Bauchgefühl
Wenn die Intuition in die Irre führt
Jürgen war ein erfahrener Demand Planner in einem mittelständischen Unternehmen. Mit fast 20 Jahren Erfahrung hatte er einen guten Instinkt für Marktentwicklungen entwickelt. Seine Kollegen vertrauten auf sein Urteil, weil seine Einschätzungen meist richtig lagen.
Im Herbst 2021 jedoch traf Jürgen eine folgenschwere Fehlentscheidung. In einer wichtigen Lagebesprechung plädierte er dafür, die Produktion eines bestimmten Haushaltsgeräts deutlich zu erhöhen. “Der Markt zieht an, das spüre ich”, erklärte er mit Überzeugung.
Was dann geschah, widersprach seiner Prognose grundlegend: Durch die globale Halbleiterknappheit konnten Hersteller von hochwertigen, smarten Haushaltsgeräten ihre Produktion nicht wie geplant steigern. Ironischerweise führte dieser Engpass dazu, dass Konsumenten ihre Käufe verschoben, statt auf einfachere Modelle auszuweichen – sie warteten lieber auf die Verfügbarkeit der knappen Premium-Geräte. Jürgen hatte jedoch genau das Gegenteil prognostiziert und die Produktion einfacherer Geräte massiv hochgefahren. Statt des erwarteten Verkaufsbooms blieb das Unternehmen auf einem überdimensionierten Lagerbestand sitzen. Die finanziellen Einbußen beliefen sich auf mehrere hunderttausend Euro.

1. Die Grenzen der Intuition bei komplexen Entscheidungen
“Mein Bauch lag eigentlich immer richtig” – diese Aussage hört man häufig von erfahrenen Entscheidern. Doch die kognitive Psychologie zeigt, dass unser Gehirn bei komplexen Entscheidungen systematischen Verzerrungen unterliegt.
Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat in seiner Forschung zwei Denksysteme identifiziert:
System 1: Das intuitive Denken
Dieses System arbeitet schnell, automatisch und weitgehend unbewusst. Es ist unser ständiger Begleiter im Alltag und verarbeitet Informationen nahezu mühelos. System 1 reagiert unmittelbar auf Reize, erkennt Muster basierend auf früheren Erfahrungen und generiert emotionale Reaktionen. Hier entstehen unsere ersten Eindrücke, spontanen Urteile und das vielzitierte “Bauchgefühl”.
In der Praxis nutzen erfahrene Demand Planner ihr System 1, wenn sie auf Basis langjähriger Erfahrung sofort “spüren”, ob eine Prognose plausibel ist. Diese Intuition kann wertvoll sein – sie basiert auf implizitem Wissen, das über Jahre hinweg aufgebaut wurde. Beispielsweise erkennt ein erfahrener Einkäufer oft auf den ersten Blick saisonale Anomalien in Verkaufsdaten oder spürt, wenn bestimmte Trends nicht zum üblichen Marktverhalten passen.
Die Stärke von System 1 liegt in seiner Geschwindigkeit und Effizienz. Es ermöglicht uns, in komplexen Situationen schnell zu reagieren, ohne jede Variable bewusst analysieren zu müssen. Dies ist besonders in Situationen hilfreich, die dem Experten vertraut sind und wo Muster wiedererkannt werden können.
System 2: Das analytische Denken
Im Gegensatz dazu arbeitet System 2 langsam, methodisch und benötigt bewusste Anstrengung. Es ist unser analytisches Denken, das logisch vorgeht, Daten systematisch auswertet und Wahrscheinlichkeiten abwägt. Dieses System ist aktiv, wenn wir komplexe Berechnungen durchführen, verschiedene Szenarien durchspielen oder systematisch Für und Wider abwägen.
In der Planung und Prognose zeigt sich System 2, wenn Teams Datenanalysen durchführen, Zeitreihen auswerten, Marktforschungsergebnisse interpretieren oder Simulationen verschiedener Szenarien erstellen. Dieser Denkprozess ist anstrengender und zeitaufwändiger, führt aber gerade bei komplexen oder neuartigen Problemen zu fundierteren Entscheidungen.
Die besondere Qualität von System 2 liegt in seiner Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen, statistische Zusammenhänge zu verstehen und methodisch vorzugehen. Es kann bewusst Annahmen hinterfragen, verschiedene Faktoren gewichten und neue Informationen systematisch integrieren. Während System 1 auf bekannte Muster reagiert, kann System 2 neue Lösungsansätze entwickeln.
Das Zusammenspiel beider Systeme
In der praktischen Anwendung arbeiten beide Systeme zusammen, wobei System 1 ständig aktiv ist, während System 2 nur bei Bedarf eingeschaltet wird. Kahnemann beschreibt dieses Verhältnis als “mühelose Entstehung von Gedanken und Eindrücken” (System 1) gegenüber der “Überwachung und Kontrolle von Gedanken und Handlungen” (System 2).
Für Entscheider im Supply Chain Management ist die Balance entscheidend: Die Intuition eines erfahrenen Planers kann wertvolle Hinweise liefern, sollte jedoch durch systematische Datenanalysen und Modellierungen ergänzt werden. Die Kunst besteht darin, beide Denkweisen situationsgerecht einzusetzen – und zu erkennen, wann das Bauchgefühl durch analytisches Denken überprüft werden sollte.
Bei Prognoseentscheidungen beeinflussen vor allem diese drei psychologischen Effekte unser Urteil:
• Selbstüberschätzung („Overconfidence Bias“): Die Studie von Dunning und Kruger (1999) zeigte, dass Menschen ihre eigenen Fähigkeiten oft überschätzen. Teilnehmer im untersten Leistungsviertel schätzten sich dabei besonders unrealistisch ein – sie sahen sich im 62. Perzentil, obwohl ihre Leistungen sie nur ins 12. Perzentil platzierten.
• Verlustaversion („Loss Aversion“): Menschen empfinden Verluste intensiver als gleichwertige Gewinne. Diese Asymmetrie führt dazu, dass viele Unternehmen aus Angst vor Engpässen zu hohe Sicherheitsbestände bevorzugen und dabei Kapitalkosten und Abschreibungsrisiken unterschätzen.
• Bestätigungsfehler („Confirmation Bias“): Wir neigen dazu, Informationen zu bevorzugen, die unsere bestehenden Überzeugungen bestätigen. Studien haben gezeigt, dass Menschen etwa doppelt so häufig nach Informationen suchen, die ihre bestehenden Ansichten bestätigen, anstatt nach widersprüchlichen Belegen zu suchen, was die Entscheidungsqualität im geschäftlichen Kontext erheblich beeinflusst.
Diese kognitiven Verzerrungen beeinflussen nicht nur individuelle Entscheidungen, sondern prägen auch die Unternehmenskultur und damit die Art und Weise, wie Prognosen erstellt werden. Während erfahrene Planer wertvolles implizites Wissen mitbringen, zeigt die Forschung, dass systematische Datenanalysen diese menschlichen Schwächen ausgleichen können.
An dieser Stelle kommen moderne Prognosemethoden ins Spiel – doch auch die klassischen Ansätze stoßen in der heutigen dynamischen Wirtschaftswelt an ihre Grenzen, wie wir im Folgenden sehen werden.

2. Warum klassische Prognosemethoden an ihre Grenzen stoßen
Klassische Prognoseverfahren wie gleitende Durchschnitte, exponentielle Glättung und saisonale Dekompositionsverfahren waren über Jahrzehnte hinweg das Standardwerkzeug für die Bedarfsplanung. Sie haben Unternehmen zuverlässige Dienste geleistet in Zeiten, als Märkte noch berechenbarer und Veränderungen langsamer waren. Doch in einer zunehmend dynamischen und vernetzten Wirtschaftswelt zeigen sich ihre Grenzen immer deutlicher und schmerzhafter:
Vergangenheitsorientierung – Autofahren mit dem Blick nur in den Rückspiegel
Traditionelle Prognosemodelle basieren auf einem fundamentalen Prinzip: Sie analysieren historische Daten und projizieren erkannte Muster in die Zukunft. Diese Herangehensweise gleicht dem Versuch, ein Auto zu steuern, während man ausschließlich in den Rückspiegel schaut – es funktioniert einigermaßen gut, solange die Straße gerade verläuft und keine unerwarteten Hindernisse auftauchen.
In einer Welt voller “Kurven” und “Hindernisse” wird diese Methode jedoch gefährlich. Globale Lieferkettenunterbrechungen, disruptive Technologien, veränderte Konsumgewohnheiten und unvorhersehbare Ereignisse wie Pandemien oder geopolitische Konflikte führen dazu, dass historische Daten immer weniger Aussagekraft für zukünftige Entwicklungen haben.
Ein drastisches Beispiel aus der Praxis: Während der COVID-19-Pandemie veränderte sich das Konsumverhalten fundamental. Der Absatz von Webcams und Monitoren stieg laut GfK in Deutschland innerhalb weniger Wochen um bis zu 81% – ein Sprung, den herkömmliche Prognosemethoden nicht vorhersagen konnten. Gleichzeitig brach die Nachfrage nach Business-Kleidung um mehr als 45% ein. Unternehmen, die ausschließlich auf historische Daten setzten, saßen entweder auf leeren Lagern oder auf unverkäuflichen Beständen.
Klassische Methoden hätten niemals einen solchen Einbruch oder Anstieg prognostizieren können, da derartige Muster in den historischen Daten schlicht nicht existierten. Die reine Vergangenheitsorientierung verwandelte sich hier von einer methodischen Stärke zu einer gefährlichen Schwäche, die ohne eine gehörige Prise gesundem Menschenverstand nicht ausgeglichen werden kann.
Weitere erhebliche Nachteile klassischer Ansätze:
Begrenzte Fähigkeit, komplexe Beziehungen zu erkennen: Traditionelle Prognosemethoden können in der Regel nur lineare oder einfache nichtlineare Zusammenhänge abbilden. Sie arbeiten nach dem Prinzip der Isolation einzelner Variablen und deren direkter Einflüsse. Die Realität modernen Wirtschaftsgeschehens ist jedoch wesentlich komplexer strukturiert, mit verschachtelten Wechselwirkungen und mehrstufigen Abhängigkeiten zwischen zahlreichen Faktoren.
Diese Modelle stoßen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Synergie- und Kannibalisierungseffekte zu erfassen oder Schwellenwerte zu identifizieren, ab denen bestimmte Faktoren plötzlich relevant werden. Ein typisches Beispiel: Ein klassisches Prognosemodell kann relativ gut vorhersagen, wie eine Preissenkung die Nachfrage beeinflusst – aber es scheitert daran zu verstehen, wie sich diese Preissenkung in Kombination mit einer Wettbewerberaktion, ungünstiger Witterung und einem viralen Social-Media-Trend gleichzeitig auswirkt. Es fehlt die Fähigkeit, die komplexe Orchestrierung verschiedener Einflussfaktoren zu modellieren und deren nicht-lineare Interaktionen zu berücksichtigen. Gerade im Lebensmitteleinzelhandel kann das Verständnis solcher Dynamiken für die kurzfristige Disposition sehr hilfreich sein.
Schwierigkeiten bei der Integration externer Datenquellen: Klassische Modelle arbeiten typischerweise mit einer begrenzten Anzahl sorgfältig ausgewählter interner Variablen – Absatzhistorie, Preise und vielleicht noch Promotionskalender. Doch in einer vernetzten Welt liegen die entscheidenden Einflussfaktoren oft außerhalb der Unternehmensgrenzen. Die Integration großer Mengen heterogener externer Daten überfordert diese Systeme in mehrfacher Hinsicht.
Zum einen fehlt oft die methodische Flexibilität, um beispielsweise unstrukturierte Daten wie Kundenbewertungen, Wettbewerbsaktivitäten oder Social-Media-Sentiments zu verarbeiten. Zum anderen scheitern sie an der schieren Datenmenge: Während ein KI-System problemlos Hunderte potenzieller Einflussfaktoren analysieren kann, müssen bei klassischen Modellen die relevanten Variablen manuell vorselektiert werden – wobei oft entscheidende Faktoren übersehen werden. Und nicht zuletzt stößt auch die Rechenleistung traditioneller Verfahren an Grenzen, wenn Echtzeitdaten aus verschiedensten Quellen – von Wettersensoren über Online-Clickstreams bis hin zu Makroindikatoren – kontinuierlich in die Prognose einfließen sollen. Dabei liegt gerade in dieser breiten Datenbasis oft der Schlüssel zum Verständnis komplexer Marktdynamiken.
Eingeschränkte Anpassungsfähigkeit bei Veränderungen: Herkömmliche Prognosemethoden zeigen eine strukturelle Trägheit, die in stabilen Märkten kaum auffällt, bei disruptiven Veränderungen jedoch schwerwiegende Folgen hat. Diese Trägheit entsteht durch den Fokus auf langfristige Datenmuster und die inhärente Annahme einer gewissen Stabilität. Bei plötzlichen Marktveränderungen – sei es durch neue Wettbewerber, veränderte Konsumentenpräferenzen oder externe Schocks – führt dies zu einer problematischen Reaktionsverzögerung.
Ein Beispiel macht das Problem deutlich: Nach einer abrupten Veränderung des Kundenverhaltens werden herkömmliche Modelle zunächst die neuen Daten als “Ausreißer” interpretieren und weitgehend ignorieren. Erst wenn sich das neue Muster über mehrere Perioden stabilisiert, beginnen diese Systeme langsam, ihre Parameter anzupassen. Diese Anpassungsperiode kann je nach Modell Wochen oder Monate dauern – eine Zeitspanne, in der die Prognosen systematisch und erheblich von der Realität abweichen. Bis das System die “neue Normalität” vollständig in seine Prognosen integriert hat, sind oft bereits kostspielige Fehlentscheidungen getroffen worden – sei es durch überhöhte Lagerbestände oder Lieferunfähigkeit.
Die Antwort auf diese Herausforderungen: KI-basierte Prognosen
Angesichts dieser fundamentalen Limitationen klassischer Prognosemethoden wenden sich immer mehr zukunftsorientierte Unternehmen moderneren Ansätzen zu. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen bieten hier bahnbrechende Möglichkeiten, die die beschriebenen Grenzen überwinden. Wie genau KI-basierte Systeme die Prognosegenauigkeit revolutionieren können, indem sie komplexe Muster erkennen, externe Daten integrieren und sich schnell an Veränderungen anpassen, zeigt der folgende Abschnitt.

3. Wie KI-basierte Prognosen die Genauigkeit verbessern
Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen revolutionieren die Bedarfsplanung mit Fähigkeiten, die weit über klassische statistische Verfahren hinausgehen. Der fundamentale Unterschied liegt in der Art, wie diese Systeme mit Daten und Zusammenhängen umgehen:
Erkennung komplexer, nicht-linearer Zusammenhänge: Während traditionelle Modelle meist auf linearen Beziehungen oder vordefinierten Mustern basieren, können KI-Systeme hochkomplexe, nicht-lineare Abhängigkeiten identifizieren und abbilden. Dies ist vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einem einfachen Stadtplan und einem intelligenten Navigationssystem, das Verkehrsflüsse in Echtzeit berücksichtigt.
Deep-Learning-Architekturen wie neuronale Netze mit mehreren Schichten sind in der Lage, versteckte Muster zu erkennen, die mit bloßem Auge oder klassischen Algorithmen nicht sichtbar wären. So kann ein KI-System beispielsweise erkennen, dass die Nachfrage nach einem Produkt nicht einfach proportional zum Preis steigt oder fällt, sondern dass dieser Zusammenhang von Faktoren wie Wochentag, Wetter, Jahreszeit und sogar der Platzierung von Wettbewerbsprodukten abhängt. Diese Fähigkeit ist besonders wertvoll bei Produkten mit komplexen Nachfragemustern wie saisonale Waren, Modeprodukte oder Artikel mit starker Wetterabhängigkeit.
Verarbeitung großer, heterogener Datenmengen: Die Stärke moderner KI-Systeme liegt auch in ihrer Fähigkeit, enorme Datenmengen aus verschiedensten Quellen zu integrieren und zu analysieren – was manuell oder mit traditionellen Methoden praktisch unmöglich wäre. Ein fortschrittliches Prognosesystem kann gleichzeitig interne Unternehmensdaten, Wettbewerbsinformationen, Social-Media-Trends, Wetterdaten, makroökonomische Indikatoren und branchenspezifische Kennzahlen verarbeiten.
Besonders beeindruckend ist dabei die Fähigkeit, auch unstrukturierte Daten zu nutzen: Während klassische Verfahren auf sauber formatierte Zahlenreihen angewiesen sind, können moderne KI-Systeme wertvolle Informationen aus Kundenbewertungen, Forenbeiträgen, News-Artikeln oder sogar Bildern extrahieren. Ein Beispiel: Ein Modeunternehmen kann mithilfe von KI die Stimmung in sozialen Medien zu bestimmten Trends analysieren und diese Informationen in die Absatzprognose einfließen lassen, lange bevor sich diese Trends in den Verkaufszahlen niederschlagen.
Kontinuierliche Anpassung an neue Marktgegebenheiten: Eine der revolutionärsten Eigenschaften von KI-Systemen ist ihre Lernfähigkeit. Anders als statische Modelle, die manuell neu kalibriert werden müssen, können KI-basierte Prognosesysteme kontinuierlich dazulernen und sich autonom an veränderte Marktbedingungen anpassen.
Diese adaptive Fähigkeit basiert auf fortschrittlichen Techniken wie Reinforcement Learning und Online Learning, bei denen das System ständig die Qualität seiner eigenen Prognosen überprüft und seine Parameter entsprechend anpasst. Bei plötzlichen Marktveränderungen – sei es durch saisonale Effekte, Wettbewerberaktionen oder externe Ereignisse – kann ein gut trainiertes KI-System deutlich schneller reagieren als herkömmliche Methoden. Es erkennt neue Muster oft schon nach wenigen Datenpunkten und passt seine Vorhersagen entsprechend an.
Diese Anpassungsfähigkeit wird zusätzlich durch Techniken wie anomaly detection (Erkennung ungewöhnlicher Muster) und change point detection (Identifizierung von Trendwechseln) verstärkt. Dadurch können KI-Systeme frühzeitig Veränderungen im Markt erkennen und die Prognosen entsprechend anpassen, noch bevor menschliche Analysten diese Trends bemerken würden.
Ein praxisnahes Beispiel: Ein großes deutsches Handelsunternehmen implementierte ein KI-gestütztes Prognosesystem, das Verkaufsdaten mit zusätzlichen Faktoren wie Wetterbedingungen, Werbeaktivitäten und saisonalen Trends kombinierte. Das Ergebnis war eine Verbesserung der Prognosegenauigkeit um 22% und eine Reduzierung der Lagerbestände um 15% bei gleichbleibender Produktverfügbarkeit (Handelsblatt, 2022).

4. Die Kraft externer Daten in KI-Prognosemodellen
Ein entscheidender Vorteil moderner KI-Systeme liegt in ihrer Fähigkeit, externe Datenquellen zu integrieren und deren Einfluss auf die Nachfrage zu analysieren:
Social-Media-Trends: Eine aktuelle Erhebung von GetApp (2023) zeigt, dass 80% der Verbraucher sich in ihrer Kaufentscheidung beeinflussen lassen, wenn Influencer mit einer bestimmten Marke zusammenarbeiten. Besonders stark ist dieser Effekt in bestimmten Produktkategorien: 40% der Befragten, die Influencern in sozialen Medien folgen, gaben an, Modeartikel gekauft zu haben, nachdem sie diese bei Influencern gesehen hatten. Ähnliches gilt für Lebensmittel (36%) und Beautyprodukte (32%). KI-Systeme können diese spezifischen Trends nach Produktkategorien differenziert erfassen und in Echtzeit in die Prognosemodelle einfließen lassen.
Wirtschaftsindikatoren und Marktdaten: Die Integration von Wirtschaftsdaten in Absatzprognosen kann die Genauigkeit und Zuverlässigkeit dieser Vorhersagen erheblich verbessern. Durch die Berücksichtigung makroökonomischer Indikatoren wie Bruttoinlandsprodukt (BIP), Arbeitslosenquote, Verbraucherpreisindex (VPI) oder spezifischer Branchenkennzahlen können Unternehmen ein umfassenderes Bild der Marktdynamik gewinnen. Diese Daten spiegeln die allgemeine Wirtschaftslage wider und beeinflussen das Konsumverhalten direkt. Beispielsweise kann eine steigende Arbeitslosenquote zu einem Rückgang der Konsumausgaben führen, während positive Entwicklungen bei branchenspezifischen Indikatoren wie Produktionszahlen oder Auftragseingängen auf steigende Nachfrage hindeuten können. KI-Systeme sind in der Lage, diese komplexen Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsindikatoren und Absatzentwicklung zu erkennen und für präzisere Langzeitprognosen zu nutzen.
Wetterdaten: Laut einer Studie von UBIMET (2022) können wetterbasierte Prognosemodelle die Genauigkeit für bestimmte Produktkategorien um 15-25% verbessern. Vor allem im Lebensmitteleinzelhandel mit ausreichend kurzen Wiederbeschaffungszeiten spielt das Wetter eine große Rolle für die Nachfrage. Sobald allerdings die Beschaffungszeiten länger werden und die Ungenauigkeiten bei der Wetterprognose größer ist als die des Artikels selbst, können Wetterdaten die dispositiv relevante Prognosegenauigkeit nicht mehr verbessern.

5. Der Mehrwert menschlicher Expertise
Trotz aller technologischen Fortschritte gibt es Situationen, in denen menschliches Urteilsvermögen unverzichtbar bleibt:
Bei Produkteinführungen und Innovationen: Für neue Produkte ohne Verkaufshistorie stoßen selbst fortschrittliche KI-Systeme an natürliche Grenzen. Die Prognosemodelle haben schlicht keine Datenbasis, auf der sie lernen könnten. In solchen Situationen ist das implizite Wissen erfahrener Produktmanager und Marktexperten unersetzlich. Sie können auf Erfahrungen mit ähnlichen Produkteinführungen zurückgreifen, Marktforschungsdaten interpretieren und qualitative Faktoren wie Kundenfeedback aus Testmärkten oder frühe Reaktionen von Handelspartnern einbeziehen. Ein praxisnaher Ansatz ist die Kombination aus KI-unterstützter Analyse von Vergleichsprodukten (sogenanntes “Product Mapping”) und strukturierter Erfassung von Experteneinschätzungen. Dabei hat sich gezeigt, dass hybridePrognosen, die sowohl algorithmische Komponenten als auch Expertenurteile berücksichtigen, bei Neuprodukteinführungen durchschnittlich 30% genauer sind als rein datengetriebene oder rein intuitive Schätzungen.
Bei unvorhergesehenen Ereignissen und disruptiven Veränderungen: Plötzliche, noch nie dagewesene Ereignisse überfordern jedes KI-System, das ausschließlich auf historischen Daten trainiert wurde. Die COVID-19-Pandemie lieferte hierfür zahlreiche Beispiele: Während die Algorithmen aufgrund fehlender Vergleichsmuster in der Vergangenheit weiterhin stabile Prognosen erstellten, erkannten menschliche Entscheider rasch die außergewöhnliche Situation und ihre potenziellen Auswirkungen. So reagierten viele Unternehmen mit manuellen Anpassungen ihrer Bestellmengen – etwa bei Hygieneprodukten, Heimelektronik oder Freizeitartikeln. Diese schnelle Reaktionsfähigkeit erforderte menschliches Kontextwissen, Improvisation und die Fähigkeit, verschiedene Informationsquellen zu verknüpfen. Besonders wertvoll erwiesen sich dabei Experten, die ähnliche Krisensituationen in der Vergangenheit erlebt hatten und deren Erfahrungswissen. Ein führender Lebensmittelhersteller berichtete, dass die entscheidungsrelevanten Informationen in der Anfangsphase der Pandemie nicht aus den Prognosesystemen kamen, sondern aus direkten Gesprächen mit Handelspartnern, Lieferanten und internationalen Kollegen, die früher von der Krise betroffen waren.
Bei qualitativen und strukturellen Marktveränderungen: Bestimmte Arten von Veränderungen entziehen sich der algorithmischen Erfassung, weil sie eher qualitativer als quantitativer Natur sind. Regulatorische Änderungen wie neue Umweltvorschriften, Zollbestimmungen oder Produktstandards lassen sich in ihrer Wirkung oft kaum aus historischen Daten ableiten. Ähnliches gilt für das Auftreten neuer Wettbewerber mit disruptiven Geschäftsmodellen oder den Eintritt etablierter Anbieter in neue Marktsegmente. In solchen Situationen sind erfahrene Experten mit ihrem Branchenwissen, ihren persönlichen Netzwerken und ihrer Fähigkeit zum lateralen Denken im Vorteil. Sie können potenzielle Auswirkungen besser abschätzen, weil sie auf vergleichbare Situationen zurückblicken, Stakeholder-Reaktionen antizipieren und nicht-lineare Effekte in ihre Überlegungen einbeziehen können. Ein pragmatischer Ansatz ist hier die Integration von strukturierten Experteneinschätzungen in das Prognosesystem, etwa durch regelmäßige “Marktradare”, bei denen qualitative Informationen zu Wettbewerbern, regulatorischen Trends und Technologieentwicklungen systematisch erfasst und bewertet werden.

6. Die optimale Synergie zwischen Mensch und Maschine
Weder KI-Systeme allein noch rein menschliche Entscheidungen können in der heutigen komplexen Wirtschaftswelt optimale Ergebnisse erzielen. Der wahre Mehrwert entfaltet sich erst dort, wo Unternehmen die komplementären Stärken beider Welten gezielt kombinieren – die analytische Kraft und Datenpräzision der künstlichen Intelligenz mit der Intuition, Kreativität und kontextuellen Urteilsfähigkeit erfahrener Fachexperten. Diese Symbiose ermöglicht Prognosen, die sowohl datengetrieben als auch praxisnah und realistisch sind.
Wie können Unternehmen diese Synergie in der Praxis umsetzen?
• Einrichten eines Prognose-Boards: Die Implementierung eines cross-funktionalen Teams, das regelmäßig zusammenkommt, um KI-generierte Prognosen zu bewerten und zu verfeinern, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Dieses Board sollte Vertreter aus verschiedenen Abteilungen umfassen – von Vertrieb und Marketing über Supply Chain und Produktion bis hin zu Finanzen. Die unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen eine ganzheitliche Betrachtung der KI-Prognosen. Besonders wertvoll ist die Integration von Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt, da diese oft früh Marktveränderungen wahrnehmen. In der Praxis hat sich ein zweistufiger Prozess bewährt: Zunächst eine automatisierte Plausibilitätsprüfung der KI-Prognosen anhand definierter Regeln, gefolgt von einer gezielten menschlichen Überprüfung auffälliger Abweichungen. Unternehmen wie Procter & Gamble haben mit diesem Ansatz ihre Prognosegenauigkeit um bis zu 20% verbessert.
• Kontinuierliches Feedback und Lernen: KI-Modelle unterscheiden sich fundamental von statischen Algorithmen durch ihre Fähigkeit, kontinuierlich zu lernen und sich anzupassen. Damit dieses Potenzial voll ausgeschöpft werden kann, ist ein strukturierter Feedback-Prozess unverzichtbar. Dieser sollte nicht nur quantitative Abweichungen zwischen Prognose und tatsächlichem Bedarf erfassen, sondern auch qualitative Informationen zu den Ursachen dieser Abweichungen. Besonders wichtig ist die zeitnahe Rückmeldung bei unerwarteten Marktentwicklungen oder speziellen Ereignissen wie Produkteinführungen oder Werbeaktionen. Ein effektives Feedback-System dokumentiert dabei systematisch, welche Faktoren für Prognoseabweichungen verantwortlich waren – ob interne Faktoren wie Lieferprobleme oder externe Einflüsse wie Wettbewerberaktionen oder unvorhergesehene Ereignisse. Diese Informationen fließen dann in die Kalibrierung und Weiterentwicklung des KI-Modells ein, wodurch das System mit der Zeit immer präziser wird.
• Transparente Entscheidungsprozesse und Erklärbare KI: Eine der größten Herausforderungen bei der Akzeptanz von KI-Systemen ist das Phänomen der “Black Box” – Entscheider zögern, Empfehlungen zu folgen, deren Zustandekommen sie nicht nachvollziehen können. Daher ist es entscheidend, auf sogenannte “Explainable AI”-Ansätze zu setzen, die die Entscheidungswege der KI transparent machen. In der Praxis bewährt haben sich visualisierte Darstellungen der wichtigsten Einflussfaktoren für eine bestimmte Prognose, nachvollziehbare Gewichtungen verschiedener Variablen und die Möglichkeit, in verschiedene Detailebenen der Analyse einzutauchen. Führende Unternehmen bieten ihren Planern zusätzlich eine Szenario-Funktion, mit der sie die Auswirkungen verschiedener Annahmen auf die Prognose simulieren können – etwa: “Wie würde sich die Prognose ändern, wenn die Wettbewerberpreise um 10% sinken würden?” Diese Transparenz fördert nicht nur die Akzeptanz, sondern ermöglicht auch eine qualifiziertere Bewertung der KI-Empfehlungen.
• Umfassende Schulung und Change Management: Die technische Implementierung eines KI-Systems ist nur der erste Schritt – der nachhaltige Erfolg hängt maßgeblich von den Menschen ab, die mit diesem System arbeiten. Laut einer umfassenden Studie von McKinsey (2023) scheitern bis zu 70% der KI-Initiativen nicht an technischen Problemen, sondern an mangelnder Nutzerakzeptanz und unzureichendem Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen der Technologie. Ein durchdachtes Schulungsprogramm sollte daher verschiedene Ebenen abdecken: von grundlegenden Konzepten der KI und maschinellen Lernens über die spezifische Funktionsweise des eingesetzten Systems bis hin zu praktischen Workshops, in denen Mitarbeiter den Umgang mit den neuen Tools üben. Besonders effektiv sind dabei Schulungen, die direkt an realen Anwendungsfällen aus dem jeweiligen Unternehmenskontext arbeiten. Ergänzend empfiehlt sich die Benennung von “Power Users” oder “KI-Champions” in den Fachabteilungen, die als Multiplikatoren und erste Ansprechpartner fungieren.
Fazit: Der Weg zu präziseren Prognosen
Die Kombination von bewährten statistischen Methoden, KI-gestützten Prognosen und menschlicher Expertise bietet Unternehmen die Chance, ihre Planungsgenauigkeit deutlich zu verbessern. Eine Studie von Gartner mit dem Titel “Predicts 2022: Supply Chain Technology” zeigt, dass Unternehmen mit diesem hybriden Ansatz ihre Prognosegenauigkeit um durchschnittlich 25% steigern konnten. Die Analysten weisen besonders darauf hin, dass die größten Verbesserungen dort erzielt wurden, wo alle drei Ansätze in einem strukturierten Prozess zusammengeführt wurden (Gartner, 2022).
Jürgen, der Demand Planner aus unserem Eingangsbeispiel, hat übrigens aus seiner Erfahrung gelernt. Heute nutzt er ein datengestütztes System mit statistischen Verfahren und KI-Prognosen als Grundlage für seine Prognosen, bringt aber nach wie vor seine wertvolle Markterfahrung ein – allerdings nicht mehr als alleinige Entscheidungsgrundlage, sondern als ergänzende Perspektive.
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