Mal unter uns: Haben Sie auch gute Vorsätze fürs neue Jahr gefasst? Wie eine Umfrage zeigte, hat ein Großteil der Unternehmensführer den Vorsatz gefasst, im kommenden Jahr abnehmen zu wollen. Was zunächst auf das körperliche Wohlbefinden abzielt, lässt sich aber ohne Weiteres auch auf die Supply Chain vieler Unternehmen übertragen: Viele haben einfach zu hohe Bestände um die Hüften. Von Wohlstandsspeck kann hier aber nicht die Rede sein. Im Gegenteil: (zu) hohe Bestände kosten bares Geld und binden wichtige Liquidität! Und das führt angesichts der fortwährenden Banken- und Eurokrise und der abflauenden Wirtschaft zu einer strategisch gefährlichen Situation. Denn wenn die Ertragslage schwächer wird, verringern die Banken oftmals ihre Kredit-Engagements – im schlimmsten Fall droht dann der Finanz-Infarkt.
Also ran an den Speck, denn im eigenen Unternehmen gibt es meist noch unerschlossene Verbesserungspotenziale und Liquiditätsreserven, die man bergen kann. So setzt eine Bestandsreduzierung nicht nur Liquidität frei, sondern reduziert obendrein die laufenden Kosten im beträchtlichen Maße: Bei 80 % der Unternehmen sind ca. 20 % bis 30 % der Bestandshöhe pro Jahr möglich. Auf welche Unternehmen trifft dies aber zu? Schauen wir uns um: Nach meiner Erfahrung lassen sich drei Gruppen von Unternehmen identifizieren:
Ein Drittel der Unternehmen gehört noch immer zu den Handsteuerern. Bestandsziele bestehen zumeist keine. Während man den Bestand noch als Kennzahl verfolgt, kennt man jedoch keine objektiv belastbaren Zahlen zur Lieferbereitschaft. Planung- und Dispositionsfunktionen des ERP-Systems werden nur zur Dokumentation der manuell erarbeiteten Erkenntnisse genutzt. Sicherheitsbestände werden aus dem Bauch der Disponenten und Fertigungssteuerer mit in die Auftragsmengen einbezogen. Im ERP-System hinterlegt sind Sicherheitsbestände meist nur vom Vertrieb für wichtige Fertigwaren, werden aber von der Disposition häufig nicht beachtet. Bestände werden unstrukturiert durch manuelle Maßnahmen reduziert und bleiben nur bis zu den ersten Lieferengpässen bestehen.
50 % der Unternehmen zählen wir zu den Basis- und Basteloptimierern. Bestandsziele bestehen häufig nur in wenig differenzierten Bestandsreichweiten, für das Messen der Lieferbereitschaft interessieren sich nur wenige. Das komplizierte Geflecht der Zusammenhänge zwischen Planungsstrategien, Dispositionsverfahren und logistischen Daten, verbunden mit der Architektur der Wertschöpfungskette ist den Unternehmen entweder nicht bewusst oder wird ignoriert. Anstatt die Probleme zügig und nachhaltig durch Spezialisten lösen zu lassen, wird mit Bordmitteln selbst gebastelt. Zumeist bescheidet man sich mit einfachen Basismaßnahmen, wie dem stoßweisen Nachpflegen von logistischen Grunddaten. Fokussiert auf die Erfolge einer Bestandsstufe, wird häufig ignoriert, dass Bestände nicht wirklich reduziert, sondern nur verschoben worden sind.
Der größte Teil der Bestandsreduzierungserfolge in diesen Unternehmenstypen sind nicht nachhaltig, die vorhandenen Potenziale werden nicht ausgeschöpft. Allein die daraus resultierenden Ertragsverluste würden selbst teuerste Optimierungsprojekte rechtfertigen.
Die letzte und kleinste Gruppe stellen die professionellen Bestandsoptimierer dar, die kontinuierlich und systematisch an der Wirtschaftlichkeit ihrer Wertschöpfungskette arbeiten. Üblicherweise wird die Ist-Lieferbereitschaft als wesentliche Regelgröße differenziert verfolgt. Über alle Bestandsstufen hinweg existieren artikelspezifisch ermittelte realistische Ziele für Lieferbereitschaft und Bestände, die simulativ so austariert sind, dass die gesamte Supply Chain möglichst wirtschaftlich arbeitet.
Um dies zu erreichen, werden Planungsunsicherheiten systematisch identifiziert und reduziert bzw. durch Sicherheitsbestände abgepuffert. Das Tagesgeschäft soll weitgehend von ERP-System geplant und disponiert werden und der Mensch sich auf die Handhabung der Ausnahmen konzentrieren können. Dazu justiert man die Parameter, Strategien und Daten des durchgängigen Planungs- und Dispositionsprozesses durch geeignete strategische ERP-Tuningsysteme kontinuierlich nach.
Dieses Ziel haben die meisten Unternehmen dieser Gruppe aber nicht selbstständig erreicht, sondern haben sich umfangreiche fachliche und technische Unterstützung hinzugeholt – welche sich aber in kurzer Zeit bereits amortisiert hatte.
Unnötig zu erwähnen, dass die letzte Gruppe von Unternehmen keine Probleme mit ihren Banken hat und auch in wirtschaftlich schwachen Phasen noch ordentliche Gewinne schreibt. Wenn Ihr Unternehmen nicht zu letztgenannter Gruppe gehört, sollte Ihr Neujahresvorsatz für 2012 lauten: Abspecken! Nur bei den Beständen, versteht sich.