Von Andreas Kemmner und anderen.
Die Federn in den teuren Montblanc-Füllern sind echte Handarbeit. Doch auch in der edlen Manufaktur müssen die Produktionsprozesse optimiert und zukunftsfähig gemacht werden. Ein Expertenteam reduzierte neben der Durchlaufzeit auch die Bestände und passte den Materialfluss an.
Montblanc steht für Qualität und Luxus. Auch in den Prozessen will das Unternehmen spitze sein. Nachdem vor rund zwei Jahren die Fertigungssteuerung der Goldfedermanufaktur durch die Einführung von elektronischen Plantafeln effizient, transparent und übersichtlich gestaltet werden konnte, stand nun die nächste große Herausforderung an: die Reorganisation der Fertigung mit dem Ziel, die Durchlaufzeiten und Umlaufbestände stark zu reduzieren.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurden
- der Materialfluss und das Abteilungslayout vollständig neu gestaltet und umgebaut,
- die Fertigung in Fertigungssegmente (Fertigungsblöcke) reorganisiert und
- die Fertigungssteuerung um eine Heijunka-Komponente zum Nivellieren und Glätten des täglichen Kapazitätsbedarfs gegenüber den Auftragseingangsschwankungen erweitert.
Der Fertigungsprozess der Federaggregatefertigung ist sehr komplex. Er gleicht einer Manufaktur mit Fließfertigung. Diese Federaggregate werden ausschließlich in Handarbeit gefertigt. Der Fertigungsprozess besteht aus bis zu 35 verschiedenen Arbeitsschritten. Die hohe Variantenvielfalt sowie die nachfragebedingt täglich wechselnden Engpässe in der Fertigung werden heute durch elektronische Plantafeln schnell und effizient gemeistert. Dies war eine Grundvoraussetzung für die durchgeführte Reorganisation der Goldfedermanufaktur zur Reduzierung von Durchlaufzeiten und Umlaufbeständen.
Materialflussoptimierung und Layout- Planung im Detail
Gewachsene Abteilungsstrukturen bei Montblanc und Neuinvestitionen hatten in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Materialfluss in der Abteilung nicht mehr den Anforderungen gleichmäßiger Materialströme entsprach. Die Herausforderung bestand darin, die drei Fertigungsgruppen innerhalb der bestehenden, relativ beengten Räumlichkeiten hinsichtlich ihres Materialflusses zu optimieren. Erreicht werden sollten:
- gleichmäßige Materialströme und verlustfreie Abläufe,
- verkürzte Materialtransportwege,
- erhöhte Transparenz,
- verringerte Flächenbedarfe sowie
- eine Unterstützung der angestrebten Fertigungssegmentierung (Fertigungsblöcke).
Darüber hinaus mussten noch einige zusätzliche Randbedingungen berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Ausbau des Kompetenzcenters Lasertechnologie und die Zusammenfassung aller Hydraulikpressen in einer geschlossenen Räumlichkeit (Geräuschreduzierung). Im Ergebnis konnten alle Anforderungen inklusive der zusätzlichen Randbedingungen erfüllt werden. Das neue Layout ist wesentlich „aufgeräumter” und hat darüber hinaus noch zusätzliche Freiräume geschaffen.
Der eigentliche Materialfluss in den drei Fertigungsgruppen wurde in einem sogenannten U-Layout konzipiert und umgesetzt. Der zuerst favorisierte Ansatz konnte jedoch nicht in den bestehenden Montblanc-Räumlichkeiten realisiert werden. Bei der Überprüfung seiner Machbarkeit in der Layoutplanung wurde schnell sichtbar, dass die Breite dieses Layouts zu groß war, um alle drei Fertigungsgruppen in die bestehenden Räumlichkeiten zu integrieren. Gewählt wurde daher ein Materialfluss im U-Layout mit zentraler Materialversorgungsschiene. Diese Lösung benötigt wesentlich weniger Platz als ein „klassischer” U-Layout-Ansatz. Der Materialfluss im neuen U-Layout beginnt in der Montblanc-Fertigung am Schweißarbeitsplatz mit dem Anschweißen einer Iridiumkugel. Nach der Bearbeitung des Fertigungsauftrags an weiteren Arbeitsplätzen verlässt das Material nach dem Arbeitsgang Vorsetzen zum ersten Mal die Abteilung. In der Abteilung Gleitschleifen werden die Federn getrommelt (entgratet). Es gibt insgesamt drei Schnittstellen zu externen Abteilungen im Laufe des gesamten Fertigungsprozesses (Gleitschleifen, Rhodinieren, Waschen). Für diese Warenausgänge wurde ein zentraler Sammelpunkt „Warenausgang” geschaffen. Er befindet sich zentral in unmittelbarer Nähe zu allen drei Fertigungsgruppen und kann auf kurzem Weg erreicht werden. Dieser Sammelpunkt ist in drei Bereiche gegliedert: Jede externe Weiterbearbeitung hat ihren eigenen Bereich, aus dem die Mitarbeiter das Material selbstständig abholen.
Der neue Sammelpunkt: Montblanc-Wareneingang
Nach der externen Bearbeitung wird das Material von diesen Abteilungen wieder auf die eigens geschaffenen Bereitstellflächen (Schnittstelle intern/extern) in die Goldfedermanufaktur transportiert (Bild 2). Diese Bereitstellflächen befinden sich direkt neben den nachfolgenden Arbeitsgängen, wodurch das zur Weiterbearbeitung anstehende Material visuell sofort erkennbar ist. Die Bereitstellflächen sowie die zentrale Materialversorgungsschiene gewährleisten damit maximale Transparenz in den Fertigungsgruppen bezüglich des zur Bearbeitung anstehenden Materials. Neben dem letzten Arbeitsgang, dem sogenannten Schreiben, bei dem mit Montblanc-Tinte getestet wird, ob die Feder auch „mühelos” über das Papier gleitet, wurde nur der Arbeitsgang Polieren nicht in das U-Layout integriert. Eine Integration hätte eine vollständige Umkapselung der Anlage innerhalb des U-Layouts erzwungen und damit das U-Layout „gesprengt”. Der zentrale Bestandteil, um die Durchlaufzeiten und die Umlaufbestände stark reduzieren zu können, ist die Reorganisation der Montblanc-Fertigung in Fertigungssegmente. Der neue Materialfluss und das neue U-Layout berücksichtigen und unterstützen diese Reorganisation. Gegenüber der bisherigen, werkstattorientierten Fertigung konnten mit der Fertigung in Segmenten (Fertigungsblöcken) sowohl Durchlaufzeiten als auch Umlaufbestände drastisch reduziert werden. Der Idealzustand wäre die Organisation der gesamten Montblanc-Fertigung in nur einem einzigen Segment. Diesem Ansatz folgend war es das Ziel, die Anzahl der Segmente so gering und die Anzahl der Arbeitsgänge je Segment so groß wie möglich zu gestalten. Während des Montblanc-Fertigungsprozesses müssen die Federaggregate mehrmals die Goldfedermanufaktur verlassen, um in anderen Abteilungen weiterbearbeitet zu werden. Durch diese nicht auflösbare Struktur wurden die Segmentgrenzen vorgegeben: Sie liegen immer dort, wo die Federaggregate die Federfertigung verlassen (Segmentende) oder wieder in die Federfertigung eingeschleust werden (Segmentanfang). Zwischen diesen „natürlichen” Segmentgrenzen gelang es, jeweils eine durchgängige Fließfertigung zu gestalten.
Die neue Montblanc-Fertigungsstruktur verfügt somit über vier interne und drei externe Segmente. Ein Fertigungsauftrag muss innerhalb eines Arbeitstages alle Arbeitsgänge eines Segments (intern oder extern) durchlaufen. Die ideale Durchlaufzeit für einen Fertigungsauftrag betrüge damit 7 Arbeitstage statt der bisherigen durchschnittlichen 33 Arbeitstage. Als Zielgröße für die Durchlaufzeit werden jedoch 10 Arbeitstage angestrebt: An sensiblen Arbeitsplätzen werden Pufferbestände innerhalb der Segmente benötigt, um innerhalb der Prozesskette keine Kapazitäten an anderen Arbeitsplätzen durch Maschinenausfälle zu verlieren. Hier gehen Montblanc Mitarbeiterauslastung und Produktivität klar vor Durchlaufzeit- und Bestandsreduzierung. Die Fertigungssegmentierung begrenzt die Umlaufbestände in der Goldfederfertigung klar. In jedem Fertigungssegment befinden sich immer nur Fertigungsaufträge in Höhe der Tageskapazität der Fertigungsgruppe. Der Umlaufbestand errechnet sich damit aus der Netto-Durchlaufzeit aller Segmente multipliziert mit der Tageskapazität je Fertigungsgruppe plus den Pufferbeständen. Verglichen mit den früheren Umlaufbeständen werden jetzt zwischen 50 und 65 % weniger Material im Prozess benötigt.
Dank Heijunka-Methode: Nivellierung des Auftragseingangs
Die 14- und 18-Karat-Montblanc-Goldfedern warten in Styropor-Trays auf ihren Einsatz an der Spitze des Füllfederhalters in der Schreibgeräte-Endmontage. Bis sie jedoch dahin gelangen, haben sie einen komplexen, mehrstufigen, zeit- und handarbeitsintensiven Fertigungsprozess durchlaufen. Vor dem Hintergrund der Fertigungskomplexität stellte die Optimierung des Mitarbeitereinsatzes (Kapazitätsauslastung) bei gleichzeitiger Reduzierung von Durchlauf zeiten und Umlaufbeständen eine große Herausforderung für die Fertigungssteuerung der Goldfedermanufaktur dar. Um die Kapazitätsauslastung in der Goldfederfertigung bei Montblanc zukünftig zu nivellieren und zu verstetigen, dürfen die Schwankungen im Auftragseingang (Nachfrageschwankungen) nicht mehr in die drei Fertigungsgruppen schwappen. Um dies zu verhindern, wurde die heutige Fertigungssteuerung um das Element einer Heijunka-Steuerung erweitert.
Unter dem Begriff Heijunka versteht man den Prozess des Glättens erforderlicher Kapazitätsbedarfe. Die geglättete Produktion gilt als die effektivste und kostengünstigste Methode der Fertigung. Die zu Projektbeginn durchgeführten Analysen der Auftragseingangsdaten wiesen sehr hohe Schwankungen in den täglichen Montblanc-Auftragseingangsmengen innerhalb der Fertigungsgruppen auf vom bis zu Siebenfachen der Tageskapazitätsgrenze bis hin zu gar keinem Auftragseingang über mehrere Tage hinweg. Wurde eine Gesamtanalyse über alle drei Fertigungsgruppen hinweg durchgeführt, reduzierten sich insbesondere die Perioden mit gar keinem Auftragseingang sehr stark. Damit wurde klar, dass die Heijunka-Steuerung neben der Nivellierung der Auftragseingänge und der Kapazitätsauslastung innerhalb der Fertigungsgruppen im Wesentlichen auch für den Ausgleich zwischen den Fertigungsgruppen eingesetzt werden musste. Jede Montblanc-Fertigungsgruppe verfügt über ihr eigenes Heijunka-Board (Bild 3). Dieses wird mit den täglichen Auftragseingängen durch die Fertigungssteuerung bestückt. Basis für die tägliche Einlastung von Fertigungsaufträgen in die Fertigungsgruppen aus dem Heijunka-Board ist die wöchentliche Mitarbeitereinsatzpla-nung. Aus ihr wird das tägliche Kapazitätsangebot in Form „Anzahl Mitarbeiter” und „Anzahl bearbeitbarer Federaggregate” je Fertigungsgruppe ermittelt. Die Anzahl der bearbeitbaren Federaggregate stellt den Takt dar, mit dem täglich aus dem Heijunka-Board Fertigungsauftragsmengen an den ersten Arbeitsgang Gruppen eingelastet werden müssen.
Durchlaufzeiten und Umlaufbestände täglich dokumentiert
Dieser „Takt” wird nun von den Fertigungsgruppen von Fertigungssegment zu Fertigungssegment weiterverfolgt. Mit einer Durchlaufzeit von einem Arbeitstag werden die Mengen von Segment zu Segment „weitergetaktet”. Dabei werden die Pufferbestände berücksichtigt. Die Organisation der Arbeit innerhalb der Segmente sowie die Besetzung der entsprechenden Arbeitsplätze organisiert jede Fertigungsgruppe. Dabei sind insbesondere nachfolgende Aspekte bei der Steuerung durch die Montblanc-Fertigungsgruppen zu berücksichtigen:
- Nicht jedes Federaggregat durchläuft die gleichen Arbeitsplätze.
- Jeder Arbeitsgang hat zum Teil sehr unterschiedliche Bearbeitungszeiten.
- Es können immer nur einige Arbeitsplät¬ze besetzt werden, da das Verhältnis Arbeitsplätze zu Mitarbeitern ungefähr 3:1 beträgt.
- Trotz sehr hoher Mitarbeiterqualifikation kann nicht jeder Mitarbeiter alle Arbeitsgänge oder alle Arbeitsgänge mit gleicher Geschwindigkeit bearbeiten.
Durchlaufzeiten und Umlaufbestände werden dabei täglich für jede Fertigungsgruppe, für jedes Fertigungssegment und für jeden einzelnen Arbeitsplatz dokumentiert, historisiert und in monatlichen Berichten ausgewertet. Sind keine Aufträge mehr im Heijunka-Board vorhanden oder läuft das Heijunka-Board mit Aufträgen über, reicht die Nivellierung innerhalb der Fertigungsgruppe nicht mehr aus. Ist dies der Fall, muss ein Abgleich zwischen den drei Fertigungsgruppen erfolgen. Jede Montblanc-Fertigungsgruppe fertigt ein anderes Produktprogramm. Aufgrund dessen können die Fertigungsaufträge nicht beliebig ausgetauscht werden.
Es existiert nur eine Produktgruppe, die in allen drei Fertigungsgruppen produziert werden kann. Diese ist ein Volumenmodell mit regelmäßigem Verbrauchsverhalten und erleichtert damit den Ausgleich. Ein Ausgleich ist immer dann notwendig, wenn der Auftragseingang so gering ist, dass mit „verlorenen” Kapazitäten in einer Gruppe gerechnet werden muss. In diesem Fall werden Aufträge des Volumenmodells aus dem Board der einen Fertigungsgruppe in die andere Fertigungsgruppe übertragen. Es kann aber auch vorkommen, dass ein Heijunka-Board aufgrund eines starken Auftragseingangs „überläuft”. Sollte der Auftragsbestand fünf Arbeitstage übersteigen, werden Fertigungsaufträge in die anderen Gruppen übertragen.