Eignen sich Sanierungsmethoden auch für den betrieblichen Alltag?

Konkurse sind der unternehmerische GAU. Die Faktoren, die zu Insolvenzen führen, sind jedoch auch in vielen anderen Unternehmen vorzufinden. Deshalb ist es sinnvoll, die Fehlerquellen von insolvent gegangenen Unternehmen zu kennen und im eigenen Betrieb zu überprüfen, ob sich nicht auch hier ähnliche Fehler eingeschlichen haben, denn Sie kosten auch augenscheinlich gesunden Unternehmen mitunter viel Geld. Der im vergangenen Jahr mit der gesamten Semecs-Gruppe in Insolvenz gegangene Leiterplattenbestücker Semecs, Neunkirchen, der heute unter dem Namen Neways-Neunkirchen in der ebenfalls niederländischen Neways-Unternehmensgruppe erfolgreich am Markt agiert, zeigt einige der häufigen Planungs- und Wachstumsfehler im Unternehmensalltag auf.

“In vielen Unternehmen mangelt es sowohl an der Bereitschaft, rechtzeitig auf Marktveränderungen zu reagieren, als auch an der Kompetenz zur konsequenten Umsetzung, was die aktuellen Insolvenzzahlen belegen”, so Dr. Götz-Andreas Kemmner, Gründer und Inhaber der mittelständischen Abels & Kemmner Gesellschaft für Unternehmensberatung mbH, Herzogenrath/Aachen.

Es ist Mittwoch, der 7. November 2001, morgens 9:00 Uhr. Dr. Götz-Andreas Kemmner, Unternehmensberater für Sanierungsfälle, betritt erstmals zusammen mit seinem Mitarbeiter Martin Jürgens das Firmengelände des Elektronikfertigers Semecs in Neunkirchen. Ein modernes Gebäude im Stil der 90er mit funktionalem Ambiente. Die Außenanlagen sind gepflegt und im Eingangsbereich weht die Fahne der Semecs-Gruppe. An der Empfangstheke wird Dr. Kemmner freundlich begrüßt und ins Besprechungszimmer geführt. Man hat ihn schon erwartet und auf dem Tisch steht frisch gebrühter Kaffee, den man hier in hauseigenen Semecs-Tassen serviert.

Soweit unterscheidet sich der Ablauf nicht von einem normalen Geschäftstermin. Doch für Geschäftsleitung und Belegschaft der Semecs sind Termine in den letzten Wochen nicht mehr Routine. Vor drei Wochen musste man Insolvenz anmelden. Das Damoklesschwert schwebte mehrere Monate über dem Unternehmen, doch die Hoffnung an den Fortbestand des Unternehmens gab man bis zu guter Letzt nicht auf. Doch als der Gang zum Insolvenzgericht nicht mehr zu verhindern war, machte sich ein Gefühl der Lähmung breit. Über das, was danach passiert, war sich niemand im Klaren. Wie auch, Insolvenzverwalter hat man nun mal nicht alle Tage im Unternehmen. Doch das professionelle Agieren des Insolvenzverwalters und der zur Hilfe hinzugezogenen Unternehmensberater riss alle schnell wieder aus der Lethargie der Hoffnungslosigkeit und versetzte die noch verbliebene Belegschaft in emsiges Treiben. Die Umstrukturierung wird zum Tagesgeschäft.

Nachdem der Insolvenzverwalter in den ersten drei Wochen formaljuristische und finanzbuchhalterische Aufgaben in die Wege geleitet hat, sind heute erstmals die Berater vor Ort, die die bestehende Umsatzplanung gegenprüfen und ein Fortführungskonzept in Zusammenarbeit mit Belegschaft, Kunden, Banken und Lieferanten erarbeiten sollen. In den nächsten sechs Wochen soll das mit belastbaren Zahlenwerken untermauerte Konzept stehen und nach Billigung der Gläubiger in die Tat umgesetzt werden.

Ursachenforschung 

Die Analyse der Kostenstrukturen hatte ergeben, das die vorwiegend auf Expansion ausgelegte Planung der Gruppe unangemessen hohe, schwer reduzierbare Fixkosten produzierte. Der Versuch ein deutsches Werk zu schließen und dessen Produktion auf die anderen Werke zu verteilen, scheiterte. Viel zu spät erkannte man, dass man die Schließungskosten nicht finanzieren konnte. Kostenanpassungen waren nicht mehr rechtzeitig durchzuführen oder zu teuer. Es folgte eine nicht mehr aufzuhaltende Kettenreaktion über die Konzernumlagen. Als der Umsatz wegen des schwachen Telekommunikationsmarktes einbrach, traf es auch Semecs Neunkirchen. Dieser Fehler unterläuft in der Planung jedem, der Entwicklungen der Vergangenheit in die Zukunft fortschreibt, ohne auf Lebenszyklen von Produkten und Märkten zu achten oder der vergisst, dass der Abbau von Fixkosten zuerst einmal zusätzliche Kosten verursacht. Aber selbst wenn man diese Faktoren berücksichtigt, sollte man in Wachstumsphasen auf die eigene Flexibilität achten, den Grenzbeschäftigungsgrad möglichst niedrig halten und das Wachstum vorsichtig und mit belastbaren Zahlen planen.

Vorsichtig und belastbar planen 

Vorsichtig und belastbar planen gilt also nicht nur für Sanierungsfälle, die von potentiellen Investoren besonders scharf unter die Lupe genommen werden, sondern auch für Investorengespräche im normalen Geschäftsbetrieb und für Gespräche mit Banken. Aus dieser Sichtweise relativiert sich auch die Basel II Diskussion und das Unken mancher Unternehmer über das Gebaren Ihrer Geschäftsbanken. Wer einen plausiblen und mit belastbaren Zahlen unterlegten Geschäftsplan vorlegt, der bekommt auch heute noch Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Verständlicherweise finden in solchen Fällen Erfolgsrechnungen, die kurzfristig zu Erträgen führen mehr Akzeptanz, als Planungsszenarien, die erst nach Jahren Gewinn versprechen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass bei Sanierungsfällen Gespräche mit neuen Investoren und den Banken erst Sinn machen, wenn eine “schwarze Null” im ersten Geschäftsjahr das Ergebnis einer konservativen Planung ist.

Kernkompetenz herausarbeiten 

Bei Semecs Neunkirchen wurde die operative Planung auf bestehenden Beziehungen zu namhaften Kunden aufgebaut, die aus den Branchen Automotive, Industrie und Telekommunikation kommen. Hieraus ergab sich ein hinreichender Branchenmix, sodass auch für die Zukunft keine gravierenden Branchenlastigkeiten mehr zu befürchten sind. Darüber hinaus verfügte Semecs Neunkirchen über eine gewisse Technologieführerschaft bei der Bestückung von flexiblen Leiterplatten, einem Marktsegment, das Wachstum aufweist und nicht von jedem Leiterplattenbestücker beherrscht wird. Der weniger lukrative, weil personalkostenintensive reine Handbestückungsanteil (THT) im Seriengeschäft soll weiter zurückgefahren bzw. durch Kooperationen mit weniger technologisch orientierten Lohnbestückern ausgelagert werden.

Die für die Erfüllung der Umsatzplandaten einzusetzenden Ressourcen ließen sich relativ schnell über die Kennzahl “Wertschöpfung pro Kopf” ermitteln und zum Wettbewerbsvergleich als Benchmarkgröße heranziehen. Die Umsatzplanzahlen ergaben die harte aber begründete Anforderung, den Personalstand um 56% zu reduzieren. Vertrieb, Technik und Logistik wurden in ein prozessorientiertes Auftragszentrum zusammengefasst und der ursprünglich funktionsorientierten Aufbauorganisation wurde erstmals eine funktionsübergreifende, kunden- und prozessorientierte Struktur verliehen. Darüber hinaus wurden die eigenständigen Abteilungen Instandhaltung sowie die Prozesstechnik in die Produktion integriert, sodass das hochqualifizierte Personal an der laufenden Produktion und damit wertschöpfend mitwirken konnte. All diese Maßnahmen führten dazu, dass der Grenzbeschäftigungsgrad deutlich gesenkt werden konnte. Ein Benchmark bestätigte, dass sich mit den eingeleiteten Umstrukturierungsmaßnahmen die Kostenproportionen wieder dem richtigen Niveau annäherten. Semecs lag mit seinen Planzahlen für das erste Jahr im Personalkostenbereich lediglich 1 bis 2% höher als der potenzielle Käufer. Im zweiten Jahr lag man in der Kostenplanung konform.

Erfolgreicher Neubeginn 

Mit der Neways Electronics International N.V., konnte ein potenter Käufer gefunden werden, der für das Unternehmen und seine Mitarbeiter die zukunftsfähigste Lösung darstellte, denn Neways hat eine hervorragende Marktstellung und bringt zusätzliche Aufträge in das Unternehmen ein. Das Ziel von Neways, mit dem Kauf von Semecs Neunkirchen den Zugang zum deutschen Elektronikmarkt, der in Europa der bedeutendste ist, zu verbessern, versprach darüber hinaus eine exponierte Stellung des Unternehmens innerhalb der Neways-Gruppe. Das Unternehmen ging mit 49 Mitarbeitern und damit weniger als der Hälfte seines alten Mitarbeiterstamms an den erfolgversprechenden Neustart. Auf der Basis der konservativen investorenneutralen Planung mit einer “schwarzen Null” kann sich nun ein deutlich positives Ergebnis entwickeln.

Das Fallbeispiel zeigt, dass Unternehmen im Sanierungsfall gravierende Einschnitte verkraften müssen und können. Der äußere Druck durch die Insolvenz macht es möglich, solche Maßnahmen auch konsequent durchzuführen. Würden vergleichbare Maßnahmen in noch gesunden Unternehmen genauso schnell, konsequent und mit externer Unterstützung durchgeführt, könnten viele Insolvenzen vermieden werden und Basel II würde auch nicht mehr so heiß wie derzeit diskutiert.

Standpunkt 

Ein wesentlichen Faktor für diese starke Zunahme der Mittelstands-Insolvenzen in 2001 sieht Dr. Kemmner darin, dass im (deutschen?) Perfektionierungswahn vielerorts die Produktion und Supply Chain soweit optimiert und automatisiert wurde, dass Menschen und Maschinen nur bei hohen Losgrößen profitabel arbeiten könnten. Ein geringer Grenzbeschäftigungsgrad bietet hingegen Sicherheit. Einen zu hohen Automatisierungsgrad attestiert auch das Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in einer Markforschung aus dem Jahre 2001.

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Prof. Dr. Andreas Kemmner

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