Gut, dass wir nachgerechnet haben

Wertschöpfungsprüfung beim Anlagenbauer Michels

von Martin Jürgens, Dr. Götz-Andreas Kemmner, Hans-Peter Jachertz

Wertschöpfungsprüfungen werden in Insolvenz- und Sanierungsprojekten angewandt, um die reale Ertragskraft eines Unternehmens oder Projektes zu ermitteln. Im Falle des insolvent gegangenen Automobilzulieferers Michels wurde so der Wert eines laufenden Großprojektes zum Verkaufsstichtag ermittelt. Die Wertschöpfungsprüfung eignet sich jedoch nicht nur für Sanierungsfälle: Gesunde Unternehmen können so die Wirtschaftlichkeit von laufenden Großprojekten und ihre eigene Projektkostenrechnung überprüfen. Müssen Kreditlinien zur Projektfinanzierung bereitgestellt werden, gibt ein Wertschöpfungsgutachten detaillierte Informationen über den technischen und kaufmännischen Stand eines Projektes.

Kreditwürdigkeit wird oft nur an der Bilanz festgemacht. Unternehmen sind an der Börse ein Schnäppchen, wenn der Substanzwert in der Bilanz den Börsenwert überschreitet. Wirtschaftsprüfer untersuchen, ob das kaufmännische Regelwerk stimmt, das in die Bilanz mündet. Der Wert eines Unternehmens wird jedoch nicht nur durch seine Substanz, sondern im Wesentlichen durch seine Zukunftsperspektive bestimmt. Diese Sichtweise kennen Venture Capital Geber schon besser: Bei ihren Investments, die übrigens von Q1 zu Q2 2003 wieder um 50 % gestiegen sind, stützen sie sich jedoch in Harmonie mit Marktforschungsergebnissen vornehmlich auf die so genannten Emerging Markets (wie ehemals Telekom und Internet…), doch in der Seed-Phase sind oftmals mehr weiche als harte Fakten verfügbar. Wirklich harte Fakten liefert die Wertschöpfungsprüfung, die in Insolvenz- und Sanierungsmaßnahmen Standard ist. Sie eignet sich aber auch hervorragend für gesunde Unternehmen jeder Größenordnung: Sie sichert durch fundamentale Bestandsaufnahmen im realen Fertigungsbetrieb und stichhaltige Analysen bis hin zum Stundenzettel des Monteurs eine belastbare Ertragsrechnung im Kostendschungel von Großprojekten oder komplexen Produktionsabläufen und deckt zusätzliche Ertragspotenziale durch Optimierungsmaßnahmen auf. Im Sanierungsfall Michels führten wir eine solche Untersuchung im Auftrag des Insolvenzverwalters durch. Im normalen Unternehmensalltag dient sie als Gutachten für Kreditwürdigkeit bzw. für die Bewertung des Engagements von Risikokapitalgebern, die derzeit aufgrund der schlechten Vergangenheitserfahrungen verstärkt nach Mittelständlern mit interessanten Projekten und Produkten suchen: Bereits 45 % der wichtigsten VC-Gesellschaften liebäugeln derzeit mit Investments in diesem Bereich oder sind schon aktiv dabei. Aber auch Unternehmer, die vor oder in großen Investments stehen und kein weiteres Kapital benötigen, ziehen Nutzen aus diesen Analysen: Bei geringen Gewinnmargen ist es wichtig zu wissen, dass man stets im grünen Bereich agiert. Im Fall Michels wurde ein Projektwert zum Verkaufsstichtag im achtstelligen Bereich ermittelt. Dem ca. viermal so hohen Auftragswert des Gesamtprojektes wurde eine Hochrechnung gegenüber gestellt. Es zeigte sich, dass die aktuell erreichbare Gewinnmarge im Vergleich zu einer ersten Hochrechnung im Sommer 2002 um 60% geringer anzusetzen war. Mit diesen Zahlen waren Gläubiger und Übernehmer in der Lage, den Deal abzuwickeln

Die Wertschöpfungsprüfung bei Michels im Detail

Das zu bewertende Projekt umfasste 19 automatische Fertigungszellen für einen Automobilhersteller. In ihnen sollen Baugruppen wie Seitenwand-, Boden- und Motorraumstrukturteile für ein neues Modell gefertigt werden. Pressteile werden automatisch zugeführt, bewegt, gespannt, verschweißt und geklebt. Neben komplett neuen Zellen werden auch bestehende Fertigungszellen parallel zur Produktion des derzeitigen Modells umgebaut.

Die Herausforderung an das innerbetriebliche Projektcontrolling

Aufgrund des Simultaneous Engineering in der gesamten Forward-Sourcing-Kette führen laufende Änderungsanforderungen an die Montageteile hinsichtlich Form, Material und Beschichtung konstant zur Veränderung der Auslegung der neuen und bestehenden Zellen. Der Änderungsbedarf potenziert sich zusätzlich durch die Anforderung, in einer Zelle nicht nur ein Teil, sondern verschiedene Varianten dieses Teils fertigen zu können. Unzählige Änderungsanforderungen führten dabei bis zum Bewertungsstichtag zu neuen Projektkalkulationen, die immer aus einem Mix von bestehenden und neuen Kalkulationsgrundlagen bestanden und stets in Bewegung waren. Das Controlling des Zahlenwerks erschwerte sich zusätzlich dadurch, dass der Änderungsbedarf nicht nur zwischen dem Automobilhersteller und Michels, sondern auch mit zahlreichen vorgelagerten Lieferanten abgestimmt werden musste. Gleichzeitig musste das Projektcontrolling die enge Vernetzung zwischen unterschiedlichen Projekt- und Fachabteilungen entflechten, um nicht selbst in diesem Netz gefangen zu werden. In der Summe können hier also viele Fehlerquellen entstehen. Deshalb musste die bestehende, mitlaufende Kalkulation auf Plausibilität und Richtigkeit hin überprüft werden. Bei Sanierungsfällen ist das üblich. Für gesunde Unternehmen rechnet sich dies aber auch, denn in Kalkulationen finden wir immer wieder “Schnitzer”. Bei Michels machten Sie rund zwei Mio. EUR aus, die gemeinsam mit dem Controlling und dem Projektcontrolling aufgedeckt werden konnten. Abweichungen dieser Größenordnung sind nach unseren Erfahrungen in Projekten dieser Größenordnung nicht unüblich. Es ist deshalb davon auszugehen, dass in vergleichbaren Projekten ähnliche Abweichungen aufgedeckt werden können.

Erfassung des Status Quo und Projektbewertung

Parallel zur Plausibilitäts- und Richtigkeitsprüfung der Kalkulation erfolgte die Überprüfung des technischen Projektstandes auf den Baustellen, um davon ausgehend letztlich den verbleibenden Projektaufwand ermitteln zu können. Die Hochrechnung wurde dabei auf den Ist-Kosten des Projektes aufgebaut. Rechnerisch musste hierzu klar abgegrenzt werden, welche Obligos gegenüber Lieferanten bereits eingegangen wurden. Der normalerweise aus dem ERP-System zu entnehmende Wert war im Fall Michels zu hinterfragen bzw. genau zu überprüfen, denn Materialeingänge werden bei der Wareneingangsbuchung von Obligos zu Ist-Kosten, Dienstleistungen hingegen werden erst zu Ist-Kosten, wenn die Rechnung (möglicher Weise Wochen später) gebucht wurde. Dieses erschwert die Abgrenzung und somit die Bewertung des Projektes zu einem konkreten Stichtag. Erschwert wurde die Bewertung des Projektstandes dadurch, dass auf den Baustellen teilweise Dienstleistungen von Zulieferern bereits erbracht worden waren, zu denen noch gar kein Angebot vorlag, die also noch nicht einmal als Obligo gebucht waren, aber eigentlich schon hätten Ist-Kosten darstellen müssen. Schließlich kam aufgrund verschiedener insolvenzbedingter Ereignisse hinzu, dass zwei getrennte Mandanten im SAP-System gefahren wurden, was die Prüfung zusätzlich erschwerte.

Während bei Michels, wie meist üblich, die Obligos im Bereich Controlling von Kaufleuten in SAP überwacht wurden, fand die Hochrechnung in der Excel-Welt des Projektcontrollings durch Ingenieure statt. Die Kommunikation zwischen Technikern und Kaufleuten, die ohnehin nicht immer leicht fällt, führte zu einem starken Bruch im Informationsfluss. Im Fall Michels mussten aber wichtige Informationen aus beiden Systemen zusammengeführt werden, die jedoch nicht zusammen passten.

Die dargestellten Schwierigkeiten sind nur einige exemplarische Beispiele zu den Problemen, die bei der Kalkulation von komplexen, fließenden Projekten auftreten können – mit Sicherheit auch in gesunden Unternehmen. Da eine Wertschöpfungsprüfung jedoch bei weitem weniger kostet, als die damit rechtzeitig erkannten Kostenabweichungen, macht eine solche Investition in laufenden Projekten Sinn, um rechtzeitig gegenzusteuern. Ist das Projekt abgeschlossen, muss man sich zumeist mit der Nachkalkulation zufrieden geben. Die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit des Einsatzes einer Wertschöpfungsprüfung steigt dabei mit zunehmender Projektgröße. Um zu erkennen, ob ein Unternehmen Probleme bei der Projektkostenrechnung hat oder nicht, hilft ein kurzes Audit, das wir auf Basis unserer Erfahrungen aufgebaut haben. Wenn Sie aufwendig Informationen aus mehreren Abteilungen zusammentragen müssen, um Ihre Zahlen zu bekommen, ist dies bereits ein wichtiger Indikator dafür, dass Sie Probleme bei der Projektkostenrechnung haben und eventuell dringend eine Wertschöpfungsprüfung benötigen. Aber auch wer quasi per Knopfdruck den vermeintlich realen Wert seines laufenden Projektes ermitteln kann, sollte sich nicht zu sicher fühlen, dass seine Kalkulationen richtig sind.

Im Niemandsland zwischen Betriebswirtschaft und Technik sind schon viele ertragsstarke Projekte verloren gegangen.

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Prof. Dr. Andreas Kemmner

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