Erst Farshoring, dann Reshoring, jetzt Rightshoring und Umshoring

Weihnachten 2022: Am Ende des dritten Pandemiejahres und nach fast einem Jahr Krieg in Europa drängt es sich auf, einen Blick auf die großen Entwicklungslinien unserer Supply Chains zu werfen. Wir befinden uns mitten in einem drastischen Wandel der Weltwirtschaft. Es ist an der Zeit, unsere Supply Chains neu aufzustellen und die Chancen zu nutzen, statt vor den Risiken zu erstarren!

Farshoring: In die Ferne geht der Blick

Farshoring, Produktion nach Fernost, namentlich China, zu verlagern oder von dortigen Lieferanten einzukaufen und die eigene Produktion in Europa zu schließen, war ein Trend, der in den letzten 25 Jahren bis zu Beginn der Pandemie fast ungebrochen war. Daran konnte auch nicht ändern, dass ein Teil der Unternehmen Ihre Beschaffung und Produktion wieder zurück nach Europa holte, da die Total Costs of Ownership (TCO) für aus Fernost beschaffte Waren nicht immer so deutlich unter denjenigen für europäische beschaffte Ware lagen, wie es die reinen Einkaufspreise, auf die leider noch immer viele Einkaufsabteilungen fixiert sind, vermuten ließen.

Mit Beginn der Pandemie hatte sich das Meinungsbild gewandelt. In einer Expertenbefragung, die Abels & Kemmner im Mai 2020, mitten in der ersten Pandemiewelle durchgeführt hatte, wurden deutliche Verlagerungen von Beschaffungsmärkten zurück nach Europa erwartet. Inzwischen sind wir mehr als zwei Jahre weiter und haben einiges dazugelernt.

Shanghai: Farshoring aus Europa endet oft hier.

Viele europäische Lieferanten beschaffen ihre Vorprodukte auch in China und hängen auf diese Weise ebenfalls an der Leimspur der verheerenden Pandemiepolitik der chinesischen Nomenklatura. China tritt auch zunehmend als „systemischer Wettbewerber“ auf, wie es die deutsche Bundesregierung und die EU Kommission so schön formulieren. Man könnte auch sagen, es versucht, seine Form des „Wandels durch Handel“ durchzudrücken: wirtschaftliche Erpressung.

Trotz Pandemie kein Trend zum Reshoring

Trotz dieser Entwicklungen ist kein massiver Trend zum Reshoring, zurück zu lokaler Produktion, zu erkennen. Was aber notwendig wird, ist ein Rightshoring und ein „Umshoring“. Die internationale Aufgabenteilung muss neu kalibriert werden. In manchen Feldern ermöglicht es die Automatisierung, Prozesse wieder nach Europa zu verlagern und unter TCO-Gesichtspunkten dürfte ein Nearshoring bei machen Produkten wirtschaftlich vorteilhaft sein. Die Fertigungskosten in Fernost sind inzwischen deutlich angestiegen, Zölle, Steuern, Frachtkosten, Qualitätsprobleme, große Lagerbestände und lange Lieferzeiten drücken die Landed Costs deutlich nach oben.

In unseren Simulationsprojekten zur logistischen Optimierung zeigt sich immer wieder und zunehmen häufiger, dass bei bestimmten Artikeln das Asian Sourcing keine wirtschaftlichen Vorteile mehr bietet. Bei vielen und wohl der Mehrheit der beschafften Güter wird es bei entfernten Beschaffungsmärkten bleiben. Das von David Riccardos erkannte Prinzip der komparativen Wettbewerbsvorteile hat sich in Form der internationalen Arbeitsteilung bewährt und die Welt in den letzten dreißig Jahren deutlich wohlhabender gemacht. Dies muss auch kein Problem für die Resilienz unserer Lieferketten bedeuten, sofern wir uns richtig aufstellen und uns von kritischen Beschaffungsregionen abkoppeln. Eine Umverlagerung, ein „Umshoring“, zu anderen günstigen und damit meist weit von Europa entfernten Beschaffungsmärkten ist dafür erforderlich.

„Umshoring“ als Schutz vor Erpressbarkeit

Dieses Umshoring ist besonders wichtig bei Rohstoffen. Diese Lektion haben wir in Europa angesichts der Energiekrise hoffentlich gelernt. Es nutzt nichts, wenn wir die Produktion von Zwischenprodukten relokalisieren oder umverlagern, solange die Bergwerke, Ölquellen und Gasvorkommen, in denen die weltweiten Supply Chain beginnen, bei den großen Autokratien Russland und China verbleiben. Viele kleine Autokraten, bei denen wir verteilt beschaffen, können uns deutlich schwerer erpressen und die Idee, nur noch mit Demokratien Handel zu betreiben, ist eine Kinderfantasie.

Eine große Herausforderung wird für viele, v. a. deutsche Unternehmen sein, sich vom Absatzmarkt China unabhängiger zu machen und bei diesen Unternehmen auch das Umsteuern der Beschaffungsmärkte zu bremsen. Für viele Unternehmen dürfte ein Abkoppeln vom chinesischen Absatzmarkt fast unmöglich sein und trotzdem wird es in den nächsten 25 Jahren zunehmend geschehen, denn wir erleben gegenwärtig, wie sich die goldenen Wirtschaftsjahre Chinas dem Ende zuneigen und vielleicht spricht man an Weihnachten 2042 vom erfolgreichen Aufstieg Afrikas.

Die Welt ist im Wandel, das war sie immer und das wird immer so bleiben – zum Glück!

Prof. Dr. Andreas Kemmner

Prof. Dr. Andreas Kemmner

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